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Mati Diops Berlinale-Gewinnerfilm ist ein starkes Werk über das Auratische geraubter Kunst und die schwierige Auseinandersetzung mit einem kolonialen Erbe.

Dahomey (2024)

Eine Filmkritik von Janick Nolting

Die Stimme der Box

Mati Diops Filmsprache bedient sich des Gespenstischen. Schon ihr in Cannes uraufgeführtes Drama Atlantique arbeitete mit dem Untoten, Spukenden. Dahomey nun wagt sich an das Gespenstische der Kunst selbst. Das Unbelebte wird belebt und doch ist es tot. Es findet sich entrückter Zeit wieder. Sein Material erzählt Geschichten, die ihrer ursprünglichen Mythen entrissen sind. Wo Fronten in der Auseinandersetzung verhärtet sind, schaltet sich der Streitgegenstand selbst als Heimsuchung ein. Diop gelingt damit ein origineller Zugriff auf Kolonialismus, Ausbeutung und Gewalt sowie die dominanzkulturellen Narrative, mit denen sich bereits ihre früheren Werke kritisch befassten.

Kunst hat sich in Fracht verwandelt. Ein weiteres Mal. 26 Schätze, die französische Kolonisatoren im 19. Jahrhundert dem Königreich Dahomey raubten, treten ihre Heimreise an. Frankreich lässt sie im November 2021 zurück in das Benin der Gegenwart transportieren. Mati Diop zeigt die Ankunft als großangelegte Inszenierung: Man feiert, tanzt, ein Freudentag. Und dann? Wo die Debatte um Restitution, also die Rückgabe gestohlener Kunstwerke, vermeintlich zum Endpunkt gelangt ist, wählt Dahomey einen Ausschnitt, der die Erzählung einer Besänftigung und getilgten Schuld in sich zusammenfallen lässt. Wo die Restitution erfolgt, gehen die Debatten kontrovers weiter. Dahomey ist ein Film, der sich in tiefe historische Gräben und Versehrungen gräbt und dabei gebannt einer Diskussion von Studierenden über die Funktion der Kunstwerke, ihrer Ausstellungspraxis und deren Erbe lauscht.

In der verdichteten Form – der Film dauert nur eine reichliche Stunde – und dem Tempo, mit dem hier Argumente ausgetauscht werden, hat Mati Diops Werk durchaus etwas Gehetztes. Mit atemloser diskursiver Kraft arbeitet sich der Film an seinen Themen ab. So geht es beispielsweise um die Frage der Scheinheiligkeit eines Landes, das sich viel zu spät zur Rückgabe entscheidet, zumal von einer verhältnismäßig geringen Menge an geraubten Objekten. Und mit Objekten ist es nicht getan! Die Protagonistinnen und Protagonisten von Dahomey tauschen sich eindringlich über die Bedeutung kultureller Praktiken und Bräuche, über geraubte Sprache aus, die Facetten einer kulturellen Identität. Wo finden sich Spuren der gewaltsamen Eingriffe von außen? Sich mit der (gestohlenen) Geschichte auseinanderzusetzen, bedeutet immer auch Arbeit an einem subjektiven Selbstverständnis.

An ein Ende können diese Diskussion sowieso (noch) nicht gelangen, also bleibt der Blick auf die Form, die die französische Regisseurin wählt. Wieder ein Dokumentarfilm! Das Raunen war am Ende der 74. Berlinale deutlich zu vernehmen. Mit Dahomey wurde nach Auf der Adamant im Jahr 2023 zum zweiten Mal in Folge ein dokumentarisches Werk mit dem Hauptpreis, dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Anlass zum Ärgern bietet diese Auszeichnung mitnichten. Weder ist es damit getan, sich über eine angebliche Furcht vor der Auseinandersetzung mit fiktionalen Werken zu echauffieren, noch ist es allzu sinnig, sich auf eine engstirnige Gegenüberstellung von Spiel- und Dokumentarfilm einzulassen. Dahomey ist schließlich der beste Beweis für die Schwierigkeit einer solchen Trennung.

Seine spannendsten Momente sind gerade jene, in denen die Grenzen fließend werden. Sie lassen grübeln, ab welchem Punkt und mit welchen Mitteln eine Inszenierung und der formende Eingriff in eine Wirklichkeit überhaupt auf sich aufmerksam machen. Dahomey ist keineswegs nur fixierter, abgefilmter Diskurs! Dieses Werk ist subversiv in seinen Perspektivwechseln und hochpräzise montiert, wie es den konzentrierten Austausch im Inneren mit den Alltagseindrücken der Außenwelt zusammenführt, wie es die Kunstschätze selbst in Szene setzt. Mati Diop dokumentiert nicht nur, sondern fiktionalisiert zugleich. Während gestritten wird, ob und wie Kunst präsentiert und studiert werden kann oder ob sie nicht vielmehr in andere, rituelle Kontexte gerückt werden sollte, stößt Diop in eine filmische Zwischenwelt vor. Jene Kunst spricht dort auf Fon mit dröhnender Stimme und eröffnet ihre eigene Deutungsebene. Eine fremde Instanz schildert ihr Befremden. Plötzlich filmt die Kamera unmittelbar aus der Kiste heraus, in der eine Statue verstaut wird. Deckel drauf, Leinwand schwarz. Nur noch bohrende Geräusche und eben jene Stimme. Oder man blickt forschend durch Glas, wandelt durch das Museum, sucht nach der Substanz dessen, das dort so bloßgestellt wurde, drapiert für die Öffentlichkeit. Materialien, Hüllen als historische Netzwerke.

Diops Film provoziert die Frage, ob es möglich oder überhaupt notwendig ist, diesen gestohlenen Werken eine neue Form von Aura zu verleihen oder ihre alten, womöglich verlorengegangenen Effekte zu reproduzieren. Und er testet, inwiefern er sich selbst dem Auratischen nähern kann, indem er aus einem anderen, zwischen allen Schranken stehenden gespenstischen Raum und Erfahrungsschatz zum Publikum spricht, der allein der Kunst und Projektion vorbehalten ist. Indem er sich mit seiner Fremdsprache, seinen Klängen und Suggestionen in Gedanken schleust, Gedanken übernimmt, Welten auch dort eröffnet, wo ihre Wahrheiten tief verborgen, verdrängt und eingeschlossen wurden.

Dahomey (2024)

November 2021: 26 Kunstschätze des Königreichs Dahomey verlassen Paris und kehren in ihr Herkunftsland, das heutige Benin, zurück. Zusammen mit Tausenden anderen Gegenständen wurden sie 1892 von französischen Kolonialtruppen geraubt. Doch wie sollen die zurückkehrenden Objekte empfangen werden, in einem Land, das sich während ihrer Abwesenheit stark verändert hat? Unter den Studierenden der Universität von Abomey-Calavi in Benin entflammt eine politische Debatte. (Quelle: Berlinale)

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