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Nach ihrem faszinierend-unangenehmen „Shiva Baby“ zerlegt Emma Seligman die Klischees der Highschool-Komödie zu einer queeren Satire mit großartig-grotesken Ausschlägen.

Bottoms (2023)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Female Feminist Fight Club Baby

Es ist etwas in Bewegung gekommen. Endlich. Nach all den Jahrzehnten – „The Outsiders“, „Ferris macht blau“, „American Pie“ –, in denen der Coming-of-Age-Film vor allem eine männliche Angelegenheit war, gibt es nun eine ganze Reihe von Filmen, die kämpferisch oder ganz selbstverständlich weibliche oder queere Perspektiven einnehmen. Was sich gerade im Horrorfilm ziemlich früh in Filmen wie „Ginger Snaps“ oder „When Animals Dream“ angekündigt hat, zeigt sich in Filmen wie „Mustang“, „Bandes des Filles“ oder „Lady Bird“: eine feministische Wende, bei der an anderen filmischen Sensibilitäten, an einer diverseren Bildsprache gearbeitet wird.

Booksmart von Olivia Wilde war 2018 beispielsweise der progressive Gegenentwurf zu dem sexistischen Unsinn von Superbad, der heute wie ein Altherrenwitz wirkt: genauso dreckig, frech und aufmüpfig, aber immer die Augen auf Emanzipation gerichtet und aus der Perspektive von zwei wundervoll fehlerhaften Heldinnen erzählt. Bottoms von Emma Seligman schaltet nun noch einen Gang höher.

Die impulsive PJ (Rachel Sennott) und ihre eher zurückhaltende Freundin Josie (Ayo Edebiri) haben es auf der Highschool nicht leicht: Als queere Frauen gehören sie in der Welt aus Football-Schönlingen und blonden Cheerleaderinnen zu den Außenseiter*Innen. Lesbisches Begehren kommt nicht wirklich vor, findet keinen Platz. Es regiert, drängelt und schubst die heterosexuelle Norm mit all ihren Klischees und dämlich einengenden Geschlechterbildern. Doch ausgerechnet auf die eigentlich ja unerreichbaren „Normalo“-Girls haben die beiden Queers ein Auge geworfen. Sagen wir mal so: Die Ausgangslage für amourös-sexuelle Erfahrungen könnte besser sein.

Kurzerhand gründen die Freundinnen eine Art Selbstverteidigungskurs für Frauen, der sich in der Tat wie eine Art feministischer Fight Club für Nerds ausnimmt. Der eigentliche Grund aber: Körperkontakt zu den Angebeteten; und die tauchen tatsächlich auf. Unter den Augen des Schwarzen Lehrers Mr. G (Marshawn Terrell Lynch) schlagen die Girls ordentlich zu. Doch mit den gebrochenen Nasen, brechen auch die inneren Dämme, und schließlich wird aus der hormonellen Wunschvorstellung eine solidarisch-emanzipatorische, ja queere Gruppe.

Dafür interessieren sich allerdings nicht alle. Während Josie tatsächlich das Herz von Isabel (Havana Rose Liu) gewinnt, brennen bei PJ alle Sicherungen durch, als es ihr einfach nicht gelingen will, ihren Schwarm ins Bett zu kriegen. Die ursprünglichen Motive kommen ans Licht und führen zu großen Verwerfungen. Dabei bräuchte die Highschool gerade jetzt eine schlagkräftige Gruppe, die den Jungs den Arsch rettet: Das wichtigste Spiel der Footballer steht an, und das wird nicht ohne die Nerds und Queers zu gewinnen sein.

Mit ernstem Realismus hält sich Bottoms gar nicht erst lange auf. Seligman und ihre Co-Autorin (und Hauptdarstellerin) Rachel Sennott zünden ein absurdes Feuerwerk aus völlig bescheuerten Figuren, Slapstick und subversiven Zuspitzungen: Der Direktor der Highschool ist ein sexistischer Idiot, der nur von den gehirnlosen Football-Schönlingen übertroffen wird, und überhaupt wird geheult, geschrien und Sprengstoff wie Kaugummi unter Autos geklebt.

Immer aber behält Bottoms einen ernsten Grundton. All die grotesken Elemente kehren die einengenden sozialen Strukturen nach außen, verwandeln das alltägliche Verhalten in Gesten, die kurz vor der Erstarrung obszön werden. Und: Seligman und Sennott machen nicht vor der eigenen Bubble halt. PJ mag lesbisch sein – sie ist keine Heldin. Sie nervt, ist selbstgerecht, manipulativ und sexistisch. Das wird dem Film durchaus vorgeworfen: Er sei nicht queer, sondern fahrlässig reaktionär.

Das ist Unsinn. Bottoms ist ein queerer Film – im besten Sinne des Wortes. Er schickt seine jungen Figuren auf eine Reise, in deren Verlauf sie eine Solidarität entdecken dürfen, ohne dabei fehlerlos sein zu müssen. Inmitten dieser Normen und Anforderungen muss man erstmal einen Kompass entwickeln – und genau diesen Raum eröffnet diese absurd-lustige und auch nervtötend-freche Komödie. Inhaltlich ist das reinstes Coming-of-Age, ein Queer-Werden. In der Form aber, die keineswegs gefällig ist, die sich entzieht und wandelt, über das Ziel hinausschießt und die einem Brocken in den Weg wirft – da ist Bottoms ein queerer, weil unangepasster Film mit dem Herzen am rechten Fleck.

Bottoms (2023)

PJ und Josie sind Außenseiterinnen an ihrer Highschool. Als die beiden lesbischen Schülerinnen einen Selbstverteidigungskurs ins Leben rufen, hat das bald auch Auswirkungen auf die coolen Cliquen, insbesondere den machohaften Footballspieler Jeff und dessen Freundin Isabel.

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