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Vom großen Geld träumen die Entführer*innen einer zwölfjährigen Ballerina, die sich allerdings als Urgewalt entpuppt. Das Ergebnis: blutige Horrorkost auf engem Raum, die komödiantisch aufgebrochen wird.

Abigail (2024)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Harmlos? Von wegen!

„Abigail“ ist einer dieser Filme, die Kritiker*innen eigentlich vor Probleme stellen. Wie soll man ein Werk beschreiben, das knapp vor der Hälfte seiner Laufzeit mit einer Wendung aufwartet, die einen markanten Richtungswechsel lostritt? Andererseits: Da schon das Kinoplakat kleine Hinweise liefert und der Trailer den Twist unverblümt hinausposaunt, gehen wir im Folgenden ins Detail. Wer lieber unvorbereitet ins Kino gehen möchte, sollte den Text also erst nach der Sichtung lesen.

Erinnerungen weckt Abigail vor allem an den 2019 veröffentlichten Spaßschocker Ready or Not – Auf die Plätze, fertig, tot, in dem eine Braut in einem ausladenden Herrenhaus unverhofft mit den blutigen Traditionen der Verwandtschaft ihres Angetrauten konfrontiert wird. Verwundern müssen Ähnlichkeiten nicht. Denn hier wie dort führte das als Radio Silence bekannte Duo Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett Regie. Ihr neuer Ausflug ins Horrorgenre – die beiden inszenierten auch Scream von 2022 und Scream VI – verkleidet sich zunächst als Entführungsthriller, um dann ins Übernatürliche und den Bereich des Fun-Splatter abzubiegen.

Sechs Kriminelle, angeblich Profis, die nichts voneinander wissen, sollen die zwölfjährige Ballerina Abigail (Alisha Weir) kidnappen und sie 24 Stunden lang auf einem entlegenen Anwesen bewachen. 7 Millionen Dollar pro Nase verspricht die vermeintlich einfache Mission, die sich – so läuft es im Kino immer – als denkbar harte Nuss entpuppt. Dass ihr Opfer die Tochter eines gefürchteten Unterweltbosses ist, bringt die zunächst lax an ihre Aufgabe herangehenden Verbrecher*innen bereits aus der Ruhe.

Joey (Melissa Barrera), Sammy (Kathryn Newton), Frank (Dan Stevens), Rickles (William Catlett), Peter (Kevin Durand) und Dean (der 2023 verstorbene Angus Cloud in seiner letzten Rolle), die von ihrem Auftraggeber Lambert (Giancarlo Esposito) zwecks Verschleierung nach Mitgliedern der Entertainer*innen-Gruppe The Rat Pack benannt wurden, sind erst recht entgeistert, als sie begreifen, dass die so verschüchtert wirkende Abigail eine Vampirin ist. Tänzelnd, aber unnachgiebig macht sie sich schließlich daran, die Reihen zu lichten.

Ähnlich wie in Ready or Not – Auf die Plätze, fertig, tot gehört der begrenzte Schauplatz zu den Stärken des Films. Mit vielen kuriosen Gegenständen ausgestattet und in schummriges Licht getaucht, bietet sich das verwinkelt-geräumige Gebäude bestens für ein Katz-und-Maus-Spiel an. Die Entführer*innen können nach einer bösen Überraschung die Villa nicht mehr verlassen, sitzen in der Falle und müssen ihrer wenig zimperlichen Widersacherin die Stirn bieten, wollen sie überleben.

Freunde saftig-glitschiger Effekte kommen ein ums andere Mal auf ihre Kosten, da Bettinelli-Olpin und Gillett roten Lebenssaft und Gedärme breitflächig verteilen. Manche Szenen sind gerade in ihrer Absurdität durchaus unterhaltsam. Der Versuch, das eskalierende Geschehen humorig einzufärben, geht aber auch nach hinten los – dann nämlich, wenn es zu verkrampft wird. Auf dem Papier mag es beispielsweise lustig geklungen haben, den tumben Muskelberg Peter an einem Splitter im Finger verzweifeln zu lassen. Im fertigen Film sorgt sein Gejammer allerdings eher für Augenrollen als für Lachsalven. 

Ein Lob verdient sich zweifelsohne Alisha Weir, die den schweren Spagat zwischen ängstlichem Kind und entfesselt-sarkastischer Blutsaugerin souverän meistert – selbst in drögen Ich-erkläre-euch-die-Welt-Momenten, von denen es einige gibt. Dass sich ihre Rolle trotzdem nur halbherzig entwickelt anfühlt, liegt nicht an der Nachwuchsdarstellerin, sondern an einem Drehbuch, das Erwartungen zu selten unterläuft. Welche Figur zuerst dran glauben muss, lässt sich leicht vorhersagen. Ebenso, wer es bis zum Finale schafft. Zu eindeutig, zu schematisch sind die Charaktere entworfen. Einen emotionalen Anker einzubauen, ist nicht verkehrt. Hier verkommt er jedoch, in seiner Funktion offensichtlich, zu einem billigen Anhängsel. Der mit spärlichen Strichen gezeichneten, aber erfrischend zupackenden Protagonistin aus Ready or Not – Auf die Plätze, fertig, tot drückt man jedenfalls deutlich stärker die Daumen als irgendeiner der überrumpelten Personen in Abigail.

Am Ende walzen die Macher*innen den Film auch noch übermäßig aus – wahrscheinlich, um den Boden für eine mögliche Fortsetzung zu legen und zu zeigen, dass ihr Schlachtfest eine Art Neuinterpretation des ebenfalls von Universal verliehenen 1930er-Jahre-Gruslers Draculas Tochter ist. So zumindest wird es kommuniziert. Bei Licht betrachtet sind jedoch höchstens Spurenelemente des Uraltwerks zu finden.

Abigail (2024)

Kinder können solche Monster sein. Diese äußerst schmerzhafte Lektion erfährt eine Bande von Möchtegern-Kriminellen am eigenen Leib, als sie Abigail, die zwölfjährige Tochter eines mächtigen Unterweltbosses, entführen. Dabei wirkte dieser Auftrag für die ambitionierten Verbrecher kinderleicht: Sie entführen die kleine Ballerina, bewachen sie über Nacht in einem entlegenen Herrenhaus und streichen als Belohnung satte 50 Millionen Dollar Lösegeld ein. Doch wendet sich das Blatt, als ein Kidnapper nach dem anderen in den düsteren Gängen ihres Verstecks verschwindet. Mit wachsendem Entsetzen erkennen sie, dass es sich bei ihrer Geisel keineswegs um ein harmloses Mädchen handelt, sondern um eine unerbittliche Jägerin, die gerne mit ihrem Essen spielt. (Quelle: Universal Pictures)

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