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João Canijo vollendet sein ambitioniertes Doppelwerk: „Living Bad“ zeigt die Ereignisse von „Bad Living“ aus einer neuen Perspektive und formt das Familiendrama zum gespenstischen Reigen. 

Living Bad (2023)

Eine Filmkritik von Janick Nolting

Neues aus dem Horrorhotel

In „Living Bad“ fahren Menschen nicht in den Urlaub, sie wechseln nur die Tapeten für ihr Unglück. João Canijo hat in seiner filmischen Doppelstudie einen Ort errichtet, an dem die Tristesse haust. Ein weiteres Mal öffnen sich die Pforten zu dem Hotel aus „Bad Living“. „Living Bad“ ist das Parallelwerk dazu, die zweite Seite der Medaille. Sie rückt weitere Figuren ins Bild, die auf engstem Raum mit ihren zerrütteten Beziehungen, psychischen Problemen und Verfehlungen konfrontiert sind. Canijo knüpft damit thematisch nahtlos an „Bad Living“ an. Ja, man möchte fast sagen: „Living Bad“ ist noch erbarmungsloser als sein Konterpart. 

„Ich weiß nicht, wo ich bin. Da ist nur noch Dunkelheit überall”, schluchzt gegen Ende des Films eine junge Frau, während sie sich an die Schenkel ihrer Freundin klammert. Ihre Klage fasst Living Bad treffend zusammen. Sein Schauplatz, das familiengeführte Hotel, erwächst gleich zu Beginn aus der Finsternis. Wo Bad Living mit dem Blick von oben einsetzt, bleibt die Kamera hier am Boden. Wo der Tag begann, ist nun die Nacht eingebrochen. Sonnenschein gegen Nieselregen, in dem die Lichter der Laternen funkeln. 

Im Grunde spielt es keine Rolle, welchen der beiden Filme man zuerst sieht oder ob man sich überhaupt beide zu Gemüte führt – und das ist definitiv keine angenehme Erfahrung. Gewiss, seine volle Tragweite entfaltet das Experiment erst im Doppelpack. Betrachtet man Bad Living und Living Bad jedoch als einzelne Werke, dann ist letzteres das etwas stärkere der beiden. Wo sein Gegenstück ewig lange im Zwist der Hotelführung verharrt, wendet sich Living Bad ihren Gästen zu. Aus Haupt- werden Nebenfiguren und umgekehrt. Durchaus reizvoll, wie Canijo sein Personal verschiebt. Drei Kapitel kommen dabei heraus: „Mit dem Feuer spielen”, „Der Pelikan” und „Mutterliebe”. Lose inspiriert von den gleichnamigen Dramen August Strindbergs. 

Canijo versucht sich selbst an einer Art Stationendrama. Der Zerfall in Vignetten und Fragmente beschert Living Bad mehr Abwechslung in all den psychologischen Scharmützeln. Am eigentlichen Kern hat sich allerdings nichts geändert. Altbekanntes wird nur auf neue Köpfe verteilt, beide Werke eint ihre erzählerische Trägheit. Das ist schade, weil Living Bad seine Figuren wieder nur auf ihren Determinismus beschränkt. Eine gewisse Redundanz der gezeigten Generationenkonflikte kann sich das filmische Duo bis zum Schluss nicht austreiben, wo doch jeder Handlungsfaden über Rabenmütter, Gekränkte und Betrogene auf dieselbe untröstliche Erkenntnis zusteuert. Schmerz, der nicht vergehen kann. Überschätzt sich Canijo in seinem ambitionierten Konzept nicht etwas selbst? Für das, was er letztlich in üppigen vier Stunden erzählt? 

Zumindest ästhetisch fasziniert Living Bad ähnlich wie sein Gegenstck: Heimsuchung und Verfolgung durch Traumata und Fehler der Eltern manifestieren sich eindrucksvoll in Bildern und Klängen. Canijo lässt nicht nur die Räume, sondern auch sein umherspukendes Ensemble gespenstisch erscheinen. Er überlagert Spiegelbilder und Reflexionen in Fensterscheiben zu faszinierenden Gebilden. Der Mensch verliert seine Konturen. Stimmen schallen kreuz und quer. Unterhalten sich Leute, sind immer auch die Gespräche der anderen im Raum zu hören. Bereits Gesehenes aus der einen Episode ertönt plötzlich akustisch, unsichtbar hinter Wänden und Türen oder gibt sich schemenhaft in kleinen Ausschnitten zu erkennen. 

Einzelne Begegnungen, Dialoge und Aktionen werden so im Laufe der zwei Filme aus immer neuen Positionen heraus beobachtet. Das Hotel von Bad Living und Living Bad nähert sich der Hölle an: Grausamkeiten wiederholen sich in Dauerschleifen, Kippbildern und Variationen. In jeder Kammer wird gelitten. Ein Labyrinth, in dem sich Wege, Räume und Beziehungen immer weiter aufspalten und abzweigen. 

Die Figuren versuchen derweil, sich in diesem System ein Stück Privatsphäre zu erobern. Wahrscheinlich die klügsten Beobachtungen, die Canijo dem Hotel als Konstrukt abgewinnt: die Mechanismen des Ein- und Ausblendens, welche beide Filme formal nachvollziehen. Kleine Konstellationen beanspruchen den Raum und sind doch nur Teil einer kollektiven emotionalen Starre. Verkauft wird ein Übergangsraum, ein Verweilen auf Zeit, die Illusion des Abschottens und Zurückziehens aus der Welt. Doch wie die Blicke von außen auf das Haus erneut verraten: Jedes bewohnte Zimmer erscheint nur als hell leuchtende Zelle eines großen, vergifteten Organismus. 

Jene, die ihn am Leben halten und diskret seine Kulissen aufbereiten, können selbst nicht anders, als permanent einander Schaden zuzufügen. Wer Bad Living gesehen hat, kann davon ein Lied singen. In Living Bad sind davon noch unheilvolle Spuren und Andeutungen zu vernehmen. Vor den Gästen will man sich schließlich keine Blöße geben! Und zum Schluss, da werden Fenster geputzt. Eine vermeintlich heile Welt als Geschäftsmodell poliert ihre hübsche Fassade. Canijos Zweiteiler lässt von ihr nicht viel übrig. 

Living Bad (2023)

Fünf Frauen betreiben ein altes Hotel und versuchen, es vor dem Verfall zu retten. Im Laufe des Wochenendes treffen Gäste ein. Ein Paar ist gezeichnet von den Verletzungen, die ihr gegenseitiges Unverständnis über die Jahre hinterlassen hat. Eine grenzüberschreitende Mutter mischt sich in die Beziehung ihrer Tochter ein. Zwei Freundinnen versuchen, gegen den Widerstand einer besitzergreifenden Mutter ihre Liebe zu verteidigen. 

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