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Der „Scala“-Filmpalast in Konstanz musste 2017 einem Drogeriemarkt weichen. Douglas Wolfsperger dokumentiert in „SCALA ADIEU – Von Windeln verweht“, was an Filz, Klüngel und Kommunalpolitikversagen hinter den Kulissen los war.

SCALA ADIEU - Von Windeln verweht (2018)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Tod eines Kinos

Es ist viel von der Krise des Kinos die Rede, von den schwindenden Zuschauerzahlen – ein Grund dafür könnten durchaus auch dämliche Filmtitel wie SCALA ADIEU – Von Windeln verweht sein, bei dem zunächst kein Mensch weiß, was er damit anfangen soll, und der in einem doofen Kalauer endet, dessen Anspielung keiner versteht. Ein Film, den man erstmal erklären muss, hat grundsätzlich schlechte Karten; das ist umso bedauerlicher, wenn der Film wie in diesem Fall wirklich sehenswert ist. 

Douglas Wolfsperger hat in seiner Heimatstadt Konstanz einen Dokumentarfilm über das Ende des dortigen Programmkinos „Scala“ gedreht, das 2017 wegen seiner dollen Lage am Marktplatz durch einen dm-Drogeriemarkt ersetzt wurde (daher die Windeln des Filmtitels, kapiert?) Doch er schafft es, nicht einfach nur einen Film über den Tod eines Filmpalastes zu drehen, ein bisschen nostalgisch, ein bisschen quengelig, nein: Wolfsperger entwickelt in diesen 80 Minuten Film über eine Provinzstadt ein Panorama über Kultur und Ökonomie, kommunalen Filz und Bürgerbeteiligung, Filmgenuss und Luxusprobleme, das tatsächlich jeden etwas angeht.

Wolfsperger stammt aus Konstanz, im „Scala“ wurde er filmisch gebildet; dementsprechend wehmütig reist er zurück, um die Agonie dieses Kinobetriebs mit der Kamera zu verfolgen. Er filmt und interviewt die Gäste des „Scalas“, er stellt die Stadt vor, er interviewt den Oberbürgermeister – und blickt immer mehr hinter die Kulissen dieses Strukturwandels in bester Innenstadtlage. Konstanz liegt in schönster Landschaft am Bodensee; die Schweizer Grenze führt durch die Stadt; die Schweizer fallen am Wochenende ein und kaufen, was das Zeug hält – in der Schweiz ist alles doppelt so teuer. Eine Boomstadt, der Bürgermeister hat alle Gestaltungsmöglichkeiten in der Hand. Und er argumentiert, dass die Stadtentwicklung am Steuersäckel hängt. Weshalb es marktwirtschaftlich durchaus Sinn ergibt, einen Gewerbebetrieb, der nicht so gut läuft, durch einen anderen zu ersetzen, der hervorragende Aussichten hat.

Dass es sich bei dem hinfälligen Gewerbebetrieb um ein Programmkino handelt, das den Bürgern der Stadt die Filmkultur nahebringt, ist dabei erstmal nicht von Belang. Die Umstände, wie dieser Kinotod zustande kam, sind nicht unbedingt für die Öffentlichkeit bestimmt. Und das ist die Qualität dieses Films: Dass er dahinter schaut, dass er geradezu investigativ offenlegt, welche Mechanismen greifen, wenn jemand was will, Geld hat und sich durchzusetzen weiß; dass er Ross und Reiter nennt. Der Besitzer der Immobilie ist 80 Jahre alt, der Mietvertrag mit dem Kino lief aus, und ja tatsächlich: Im Grunde bedauert der Hausbesitzer, dass das Kino verschwindet. Er hätte die Miete noch nicht mal profitgierig erhöht. Nur: Da war ein Investor, der sich einmischte. Und da ist der Kinobetreiber, der zugleich das örtliche Multiplex führt und sich nicht wirklich mehr kümmern wollte ums Kinokulturprogramm. Und da ist die Kommunalpolitik, die gestalten will, die verändern will, die sich der Zeit anpassen will und der ansonsten ziemlich viel wurscht ist.

Filz und Klüngel, exemplifiziert an einem einfachen Beispiel: Das ist das große Verdienst des Films. Wolfsperger wurde bekannt durch seinen Dokumentarfilm Bellaria – Solange wir leben von 2001, in dem er ein Wiener Repertoirekino porträtiert und all die Senioren, die die guten alten Marika-Rökk-Filme ihrer Jugend hier wieder und wieder sehen konnten. SCALA ADIEU ist so etwas wie die Kehrseite: Eine Anklage nicht gegen den Tod eines einzelnen Kinos, sondern gegen die Gleichgültigkeit oder gar Geringschätzung, die der Kultur allgemein entgegenschlägt. Gerade von denen, die sich zur Elite zählen. Der örtliche Karnevalspräsident, Gemeinderats- und Kulturausschussmitglied, wiegelt ab: Es gibt ja noch so viele andere Kleinkunstbetreiber und Theater und all die ausländischen Kulturvereine vor Ort! Der OB, süffisant und gönnerhaft, lobt die Stadt in höchsten Stadtmarketingtönen. Und er hat ja auch durchaus ein Argument auf seiner Seite, wenn er den zunehmenden, nostalgisch getönten und grundsätzlichen Unwillen zur Veränderung in großen Teilen der Bevölkerung beklagt. Macht dies aber fest am Beispiel eines Radweges über eine Wiese, für deren Erhalt sich lachhafterweise gleich Bürgerinitiativen bilden würden – und offenbart so seine vollkommene Blindheit gegen die Sorge und das Unbehagen an der zunehmenden Flächenversiegelung. Über Wolfspergers Frage nach dem kulturellen Wert der Filmkunst, die im „Scala“ gezeigt wird, mokiert er sich nur und zeigt damit die Fratze der Verachtung.

Und vielleicht ist das (neben dämlichen Filmtiteln) der wahre Grund für die Kinomisere: Wenn selbst die oberen Fünfhundert sich nicht einmal mehr den Anschein geben, sich für Kultur zu interessieren, wenn sie nur noch nach dem Preis schauen und nicht mehr nach dem Wert – wie soll dann überhaupt jemand an Kino, Theater, Musik jenseits kommerzieller Mainstreamware herangeführt werden?

Immerhin: Nicht alles scheint verloren. Eine Bürgerinitiative hat sich in der Stadt gegründet, hat bürgerschaftliches Interesse gezeigt und erzeugt. Das Kulturamt von Konstanz hat SCALA ADIEU – Von Windeln verweht gefördert – und inhaltlich offenbar nicht eingegriffen. Und: In Konstanz gibt es nicht nur ein Multiplexkino für die Mainstreamware, sondern – was im Film unerwähnt bleibt – mit dem Zebra-Kino auch ein sehr reges, öffentlich gefördertes Kommunales Kino.

SCALA ADIEU - Von Windeln verweht (2018)

Im September 2016 schloss eine Konstanzer Kinoinstitution, der „Scala Filmpalast“, für immer seine Pforten, um der fünften Filiale einer Drogeriemarktkette zu weichen. Der Filmemacher Douglas Wolfsperger, der im Scala einen Großteil seiner eigenen Kinosozialisation erlebte, hat den Protest gegen die Schließung des Traditionshauses mit der Kamera und vielen Gesprächen begleitet. 

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Meinungen

Hanspeter Brunner · 22.03.2019

Wir haben vor fünf Jahren das örtliche Kino gerettet und einen Verein hierzu gegründet. Die Stadtverwaltung half mit. Heute betreiben ca. 45 Ehrenamtliche unser Kino und nächstes Jahr feiern wir unser 100-jähriges Jubiläum.

Olaf Eberhardt · 18.03.2019

Ich habe den Film bereits gesehen und will mich auf diesem Wege bedanken.
Wir gehen aktuell wirklich viel zu gleichgültig mit unseren Errungenschaften um.
Wir beachten nicht, dass zu einem erfüllten Leben nicht nur Konsumgüter sondern auch eine abwechslungsreiche Kulturlandschaft gehört.
Genau diese Kulturvielfalt gilt es auch für Minderheiten zu erhalten, entgegen dem maximalen Profit.
Dieser Film bringt einen dazu seine eigene EInstellung zu hinterfragen und zu überdenken. Eventuell nicht mehr alles gleichgültg hinzunehmen sondern für etwas zu kämpfen unabhängig ob man gewinnt oder verliert.

Erschreckend ist bei diesem Film vor allem die Einstellung und das Auftreten des Kulturbürgermeisters von Konstanz und wie ahnungslos Narren, im Gemeinderat für Kultur zuständig, tatsächlich sind.
Ich hoffe nur die Konstanzer werden sich daran erinnern, dass man auch Stimme hat.

Vielen Dank für das beste Kinoerlebnis seit Jahren

Michael Basler · 16.03.2019

Wenn der in Jena kommt, schaue ich ihn mir an. Wir hatten hier ein Kino mit einer langen Tradition, das Capitol,1927 gegründet von der Kinobesitzerlegende Valentin Videra. Ein auch baulich wunderschönes Haus, bei dem es niemand verstanden hat, es auch wirtschaftlich in die heutige Zeit zu führen. Schließlich kam ein Investmenthai und hat es zu gehobenen Wohnungen und einige Geschäften umgebaut.

Auch hier eine Allianz aus Ignoranz und Geldgier. Wohl auch, weil die Entscheidungsträger eher nicht die typischen Kinogänger sind. Die sind entweder noch keine Entscheidungsträger oder keine mehr.

Cinema Paradiso lässt grüßen.

Marc Eric Wessel · 29.01.2019

Ein interessanter Film über den Ausverkauf unserer Innenstädte an Investoren.