Miss Kicki

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Desillusioniert und hoffnungstrunken

An den Traumprinzen glauben, den man nur aus dem Internet kennt. Die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft an einem schicken Ort nähren, während sich in den eigenen vier Wänden die leeren Pizzakartons stapeln. Für einen unglücklichen Teenager sind solche Träumereien eine ganz normale Phase auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Temporäre Luftschlösser, niemals zum Einzug gedacht, nicht weiter tragisch, stattdessen fasst man irgendwann Fuß im eigenen Leben.
Kicki jedoch ist fast fünfzig und scheint nie richtig Fuß gefasst zu haben. Sie hat schon ein Leben gelebt, ist schon ausgezogen, um ihr Glück zu suchen, aber gefunden hat sie es – wie es aussieht – nicht. Tatsächlich sieht es eher so aus, als ob sie trotz ihrer Rückkehr nach Schweden den Halt verloren hätte. Wenn sie Nachts in ihrer tristen kleinen Bude sitzt und mit einem Geschäftsmann namens Mr. Chang aus Taipeh via Skype turtelt, dann ist sie nicht nur vor Hoffnung trunken. Denn mit Hilfe von Alkohol lassen sich Träume und Hoffnungen, durch das Leben schon einmal zerstört, immer wieder neu beleben. Doch diese Selbsttäuschung hat den Preis der Sucht: Während Kicki am nächsten Morgen etwas Ordnung, wenn schon nicht in ihr Leben, dann zumindest in ihre Bude zu bringen versucht, zapft sie schon wieder Wein aus dem 5-Liter-Kanister, um ihren Kater wegzuspülen.

Miss Kicki wird verkörpert von Pernilla August, der Regisseur Håkon Liu die Geschichte seines ersten abendfüllenden Spielfilms auf den Leib geschrieben hat. Und tatsächlich wird Miss Kicki getragen von dieser großartigen Hauptdarstellerin, die in ihrer hier verkörperten desillusionierten und zugleich naiven Verantwortungslosigkeit so intensiv und zugleich verletzlich wirkt, dass es in einigen Szenen fast wehtut, mitanzusehen, wie ihre trunkenen Träume an der Realität zerschellen. Pernilla August füllt das tragische Dreieck zwischen Sucht, Selbstbetrug und Würde nuancenreich aus und Regisseur Håkon Liu gibt er auch jede Gelegenheit dafür. Zusammen mit ihrem Sohn Viktor (Ludwig Palmell), der bei seiner Großmutter aufgewachsen ist schickt er sie auf eine Reise nach Taiwan. Anders als sich ihre Mutter, die die Reise sponsert, wünscht, will sich Miss Kicki dort allerdings weniger ihrem entfremdeten Sohn annähern, den sie einst für die Suche nach dem großen Glück im Ausland im Stich gelassen hat, als vielmehr ihrem vermeintlichen Traumprinzen aus dem Internet. Doch auch in Taipeh kommt sie ohne Alkohol nicht durch den Tag, während sich der Sohn alleingelassen durch die fremde Stadt treiben lässt und mit dem gleichaltrigen Taiwanesen Didi bald einen Begleiter hat.

Dass die Exkursionen von Viktor in Taipeh fast wie ein eigener parallel laufender Film wirken, der ganz nebenbei seine Suche nach sexueller Orientierung thematisiert, lässt Miss Kicki streckenweise fast wie eine Melange aus zwei Filmen über zwei Suchende erscheinen. Über die gesamte Distanz betrachtet vergaloppiert sich die Inszenierung vor allem gegen Ende hin etwas im Erzähltempo: Das etwas unmotiviert auftauchende dramaturgische Gimmick einer Entführung von Viktor und Didi, die genauso schnell vorüber ist, wie sie begonnen hat, wirkt in dem ansonsten sehr gemäßigten Erzählfluss wie ein Fremdkörper. Es ist allerdings auch weniger eine stringente Dramaturgie als vielmehr die Stimmigkeit und Intensität einzelner Szenen, die die Wirkung des Films ausmachen. Die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander entfalten sich eher in Tableaus, als dass sie sich dramatisch entwickeln. Genau für diese Qualität wurde der Film schon 2009 auf dem Internationalen Filmfest Mannheim-Heidelberg mit dem Rainer Werner Fassbinder-Preis ausgezeichnet. Jurybegründung: „Hier wird auf immer wieder überraschende Weise vorgeführt, dass das Kino nicht viele Worte machen muss, um das Unausgesprochene und Unsagbare in menschlichen Beziehungen auszusprechen.“

Obwohl auch die anderen Schauspieler (z.B. Eric Tsang als Mr. Chang) das hohe Niveau in der einfühlsamen Darstellung ihrer Charaktere halten, sind vor allem die Szenen mit Pernilla August herausragend. Wenn sie sich endlich genug Mut angetrunken hat, um ihren Traumprinzen im Büro mit ihrem unangekündigten Besuch zu überraschen, ist das einer jener Momente, die in ihrer schonungslosen Intensität fast wehtun. Da wirkt die atmosphärische Leichtigkeit der Szenen der Annäherung zwischen Viktor und Didi wie ein wohltuendes Gegengewicht.

Miss Kicki ist ein sensibles Melodram über Einsamkeit und Freundschaft, atmosphärisch dicht, im Erzähltempo leider nicht immer souverän geführt, allerdings bestechend durch die Leistung der Darsteller. Für ein Langfilmdebüt ist das eine durchaus beachtenswerte Aufstellung — und unterm Strich bleibt die unspektakuläre Geschichte einer Reise, die für Mutter und Sohn zunächst einmal eine Reise zu sich selbst und letztlich auch eine zögerliche Annäherung aneinander ist.

Miss Kicki

An den Traumprinzen glauben, den man nur aus dem Internet kennt. Die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft an einem schicken Ort nähren, während sich in den eigenen vier Wänden die leeren Pizzakartons stapeln. Für einen unglücklichen Teenager sind solche Träumereien eine ganz normale Phase auf dem Weg zum Erwachsenwerden.
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