Kill Your Darlings

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Liebe in Zeiten der Beatniks

„Kill your darlings“ ist eine alte Schreibregel: Bei einem Text muss man immer die Formulierungen und Sätze streichen, die man selbst für besonders gelungen hält und an denen man hängt. Nur dann – so will es diese Regel – wird der Text gut. „Kill your darlings“ ist daher einer der Ratschläge, den der junge Allen Ginsberg (Daniel Radcliffe) in seinem Literaturseminar an der New Yorker Columbia Universität zu hören bekommt. Dort trifft er auf den rebellischen Lucien Carr (Dane DeHaan, The Place Beyond The Pines), der ein ganz anderes Lebens- und Schreibmotto hat: „first thought best thought“.
Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich im Jahr 1944 das Leben von Allen Ginsberg, Sohn eines Poeten (David Cross, I’m Not There) und einer psychisch kranken Mutter (Jennifer Jason Leigh). Er ist jung und unsicher, noch auf der Suche nach sich selbst. Als er Lucien begegnet, ist er fasziniert von dessen scheinbarem Selbstbewusstsein und seiner Lebensfreude. Durch ihn lernt er William S. Burroughs (Ben Foster, Ain’t Them Bodies Saints) und Jack Kerouac (Jack Huston) kennen und gemeinsam kommen sie zu dem Schluss, dass sie eine neue Bewegung gründen wollen, die sich gegen die strenge Konformität der Zeit wendet: „New Vision“ soll sie nach Arthur Rimbaud heißen.

Doch der Film Kill Your Darlings von Regisseur und Drehbuchautor John Krokidas will nicht von der Geburt einer literarischen Bewegung erzählen, sondern von Allen Ginsbergs Entwicklung vom schüchternen Studenten auf der Suche nach sich selbst zum mutigen Poeten. Er ahnt, dass er homosexuell ist, aber er lebt in einer Zeit, in der er deshalb ins Gefängnis kommen kann. Also hadert er mit seinem Entschluss, seine Homosexualität zu leben, beäugt das Verhalten anderer Männer in seiner Umgebung und nähert sich Lucien zögerlich an.

Um diesen Kampf mit sich selbst und den moralischen Vorstellungen der Zeit zu erzählen, nutzt John Krokidas die bekannte Vorstellung, dass Poesie gefährliche und unterdrückte Wahrheiten sowie Sehnsüchte ausdrücken kann und die von den neuen Dichtern geforderte Freiheit im Kontrast zu den Reglementierungen der Gesellschaft steht. Diese erzählerische Konstruktion ist spannend, allerdings erweist sich die Last der tatsächlichen Biographien der Figuren als zu groß. Bereits in der Eingangssequenz ist dieses Hindernis zu erkennen. Der Film beginnt mit dem Tod eines Mannes, einer Inhaftierung und einem Gefängnisbesuch, bei dem der Inhaftierte seinen Besucher beschuldigt, ihm sein Leben zu ruinieren. Der Film scheint also von einem Verbrechen und einem Verrat zu erzählen, die aufgeklärt werden müssen. Dann springt er in der Zeit zurück und die Figuren können nach und nach identifiziert werden: der Getötete ist David (Michael C. Hall), Luciens Mentor und womöglich Stalker, der Inhaftierte ist Lucien und der Besucher Allen.

Zu diesen Charakteren gesellen sich schließlich noch Jack Kerouac und William S. Burroughs, außerdem einige Randfiguren, deren Namen zwar der Vollständigkeit halber genannt werden, die aber für die Filmhandlung keine Rolle spielen. Also benötigt der Film schon einige Zeit, um alle Figuren zu versammeln und vorzustellen, der Vielschichtigkeit und dem Nimbus dieser exzentrischen Charaktere trägt er indes keine Rechnung. Dadurch entsteht eine Ambivalenz, die der Film nicht auflösen kann: Auf der einen Seite ist er vor allem interessant, weil er von der mit einem Mord behafteten Geburtsstunde der Beat Generation und der weniger bekannten Freundschaft zwischen Lucien Carr und Allen Ginsberg erzählt, auf der anderen Seite aber hat John Krokidas nur wenig Interesse daran, von der literarischen Bewegung und den Dichtern dieser Generation zu erzählen. So wird beständig erwähnt, wie wortgewaltig Jack Keroauc ist – zu sehen oder spüren ist davon indes nichts. Auch sind einige bekannte Anekdoten – wie das Herunterrollen im Fass, der Versuch Carrs und Kerouacs nach Paris zu fahren – zwar enthalten, andere, wie beispielsweise die Begegnung zwischen Ginsberg und Neal Cassidy, aber nicht. Natürlich muss ein Film nicht die vollständige Geschichte erzählen, wenn er sich aber einen Aspekt wie Ginsbergs inneren Kampf mit seiner Homosexualität herausgreift und sich an wahren Begebenheiten orientiert, sollten die Elemente sorgfältig ausgewählt werden.

Allen Ginsberg wird von Daniel Radcliffe gespielt, der sehr bemüht ist, sein Harry-Potter-Image abzulegen. Doch gerade im Vergleich zu beispielsweise Ben Foster, der mit seiner kleinen Rolle als William S. Burroughs den größten Eindruck hinterlässt, ist dieses Bemühen offensichtlich: nicht allein die Brille erinnert an den Zauberlehrling, sondern auch sein allzu oft staunender Blick und seine gerunzelte Stirn. Dagegen lässt Dane DeHaan die Ambivalenz seiner Figur beständig durchschimmern, so dass offen bleibt, ob Lucien ein narzisstischer Manipulator war, der erst Davids, dann Allens Zuneigung zu seinem Vorteil nutzte, oder tatsächlich das Opfer einer verfolgenden und besessenen Liebe.

Bis heute sind die Hintergründe der Tötung nicht geklärt und auch der Film verweigert sich einer klaren Position. Dadurch bekommt der Titel Kill Your Darlings am Ende noch zwei weitere Bedeutungen: Zum einen könnte Lucien ihn wörtlich genommen haben und seinen Liebhaber getötet haben. Zum anderen muss Allen lernen, dass es im übertragenen Sinn manchmal nötig ist, die Menschen zu verstoßen, die einem am meisten bedeuten. Denn erst mit dem Tod Davids und der Entscheidung, nicht für Lucien auszusagen, sondern einen Roman darüber zu schreiben, scheint Allen bei sich angekommen zu sein.

Kill Your Darlings

„Kill your darlings“ ist eine alte Schreibregel: Bei einem Text muss man immer die Formulierungen und Sätze streichen, die man selbst für besonders gelungen hält und an denen man hängt. Nur dann – so will es diese Regel – wird der Text gut. „Kill your darlings“ ist daher einer der Ratschläge, den der junge Allen Ginsberg (Daniel Radcliffe) in seinem Literaturseminar an der New Yorker Columbia Universität zu hören bekommt.
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