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Wie dreht man heute einen Film über Jugoslawien? Einen Vielvölkerstaat, den es lange nicht mehr gibt und dessen kriegerische Zersplitterung tiefe Spuren in der jüngeren Geschichte hinterließ? Der Schweizer Nicolas Wagnières hat es versucht. Sein Subjekt: Das einst legendäre „Hotel Jugoslavija“ in Belgrad.

Hotel Jugoslavija (2017)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Grand Hotel Belgrad

Alles beginnt mit einer langen Kamerafahrt: Von rechts nach links irgendwo in einem ebenso düsteren wie lang gezogenen Hotelflur, der aus einem Kieslowski-Film der frühen 1980er Jahre stammen könnte. Dazu erklingen dissonante Klaviertöne aus dem Hintergrund, ehe die Kamera vereinzelte Blicke in die trostlos heruntergekommenen Hotelzimmer gewährt. Diese Zimmer, die in Nicolas Wagnières’ Langfilmdebüt „Hotel Jugoslavija“ sofort einen morbiden Charme ausstrahlen, gehören zu einem der vielen Stockwerke des titelgebenden Prunkhotels in Belgrad.

Tito hatte sich in den 1960er Jahren dafür höchstpersönlich eingesetzt, dass es zügig vollendet werden sollte, nachdem die Arbeiten daran seit den 1940ern durch das Kriegsgetümmel lange Zeit geruht hatten. Seine Devise hieß damals von vornherein: nicht kleckern, sondern klotzen! 600 Zimmer. 1000 Betten. Luxuriöse Salons, Suiten, Pools und sogar ein Hauscasino inklusive. Kein Zweifel: Das Hotel Jugoslavija sollte im sozialistisch-propagandistischen Verständnis des damaligen Machthabers vor allem das architektonische Punkstück von „Novi Beograd“ werden und zugleich als einzigartiger Repräsentationsort für internationale VIPs aus Politik, Sport, Finanzwesen, Unterhaltung und Kultur dienen. 

Um diesen gesellschaftspolitischen Aufbruchsgeist zu illustrieren hat Nicolas Wagnières tief in den Archiven gegraben und dafür höchst sehenswertes Material zu Tage gefördert, das er in diesen wunderbar essayistisch gehalten Dokumentarfilmminuten von Zeit zu Zeit klug einstreut. Darin wird Titos Selbstverständnis regelrecht illustriert. Denn in seiner Vorstellung sollte Jugoslawien konsequent eine Sonderstellung zwischen den Machtblöcken USA und der Sowjetunion anstreben. Zu Staatsbesuchen wie Verhandlungen oder Konferenzen traf man sich daher gerne im damals extrem luxuriösen Hotel Jugoslavija, der größten wie extravagantesten Hotelanlage des gesamten Balkans. 

Ebenso wie jenes Land erlebte dann auch dieser gigantische Hotelkomplex bis zu Titos Tod sowie der Bombardierung Belgrads in den späten 1990ern eine extrem wechselhafte Geschichte. Es diente als Dreh- wie als Repräsentationsort. Davor wurde demonstriert und geschossen, während es sich innen zu Milosevic’ Zeiten stetig mehr Kriminelle gemütlich machten, die am Ende sogar das Hotelcasino führten. Die Zustände wurden schließlich immer chaotischer, die Bombentreffer wurden im Mai 1999 mehr und mehr und auch die Bediensteten wie die Besitzer wechselten im Anschluss immer häufiger. Und so war spätestens um die Jahrtausendwende herum kaum noch etwas vom Glanz des früheren Vorzeigebaus übrig geblieben, weil viele Räumlichkeiten kontinuierlich zerstört, geplündert oder schlichtweg komplett heruntergekommen waren. 

„Das Gebäude des Jugoslavija entdeckte ich 2005, als ich langsam wieder Kontakt aufnahm mit dieser Stadt und dem Werdegang eines Landes, in dem ich als Kind zuletzt war“, erläutert  der Schweizer Filmemacher Nicolas Wagnières den eigenen, sehr persönlichen Impetus in diese faszinierende Dokumentarfilmreise in ein Land, das schon lange in keinem Atlas mehr zu finden ist: Jugoslawien. Der in Lausanne geborene Regiedebütant hatte zwar selbst weder als Baby noch als Schüler je dort gelebt, aber selbstverständlich blieben ihm bis heute viele Kindheitserinnerungen an diesen von der Karte getilgten Vielvölkerstaat und damit eben auch an Belgrad und das Hotel Jugoslavija, wo er mit seiner jugoslawischen Mutter in der Vergangenheit häufiger zu Besuch war. 

Wagnières’ topographische Erkundung jenes besonders mythenreichen Hotelkomplexes gleicht in vielen Passagen einem dokumentarischen Geisterfilm. Sein geschickt montiertes Langfilmdebüt, das in zehnjähriger Arbeit entstanden ist, schürt von Beginn an ein neues historisches Interesse an diesem einst gigantischen sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsexperiment namens Jugoslawien. Herausgekommen ist dabei weder eine didaktisch-trockene Geschichtsstunde noch ein allzu verkopfter Diskursfilm. Hotel Jugoslavija lässt sich mit Referenzen an Thomas Heise über Chris Marker bis hin zu Heinz Emigholz und in abwechslungsreichen 78 Minuten vielmehr als ein filmisch sorgfältig arrangiertes Psychogramm einer Nation lesen, die im Grunde später nie mehr zu sich selbst gefunden hat und wie Titos Traumstadtmodell seltsam unvollendet blieb.

Hotel Jugoslavija (2017)

Der Dokumentarfilm „Hotel Jugoslavija“ befasst sich mit der Geschichte des gleichnamigen,1969 in Belgrad errichteten Gebäudes — und somit auch mit der Geschichte der serbischen Gesellschaft, die sich im Wandel befindet.

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