Das Hotelzimmer (2014)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Im Auf und Ab der Manipulationen

Ein Mann nimmt eine Frau mit in sein Hotelzimmer; sie landen im Bett. Hinterher eröffnet ihm die Frau, dass sie sich schon lange kennen. Vor zehn Jahren habe er sie vergewaltigt. Er weiß, dass das nicht stimmt. Kann sich zumindest nicht erinnern. Oder will er sich nicht erinnern?

Eine Autorin nimmt einen Journalisten in ihr Hotelzimmer. Sie gibt ihm ein Interview. Dann eröffnet er ihr, dass sie sich schon lange kennen. Vor zehn Jahren war er in ihrem Abijahrgang. Und eine schlimme Nacht, ein schlimmer Unfall und eine schlimme Schuld würden sie für immer miteinander verbinden. Sie weiß, dass das nicht stimmt. Kann sich zumindest nicht erinnern. Oder will sie sich nicht erinnern?

Die Autorin Agnes Lehner ist eigentlich mehr für Wohlfühl-Bahnhofsbuchhandlungsware zuständig. Jetzt hat sie einen Literaturpreis gewonnen, für ihren neuen Roman Das Hotelzimmer: Eine Frau, die einem Mann eine frühere Vergewaltigung vorwirft, die vielleicht, aber vielleicht auch nicht stattgefunden hat. Eine Zweier-Story über lange vergangene Schuld, die verschiedenen Perspektiven der Wahrheit, die Spuren, die ein Ereignis in einem hinterlässt — oder auch nicht -, über Erinnern, Verdrängen, über Täuschen, Vortäuschen und Sich-Täuschen. Über diesen Roman wird sie interviewt, ziemlich linkisch und unprofessionell, von Lukas Schmidt. Der sie zu kennen vorgibt. Der Einiges über sie weiß. Und der immer penetranter wird; weil sein Leben vollkommen verkorkst ist, und ihres so erfolgreich, dabei teilen sie doch eine gemeinsame Schuld von früher… behauptet er.

Das habe ihm gut gefallen, sagt Lukas einmal über Agnes‘ Roman, wie sie mit den Ebenen spiele, mit der Unsicherheit, dass man nie wisse, was tatsächlich passiert sei damals. Damit hat Regisseur Rudi Gaul sein Terrain abgesteckt: Genau dies spielt er durch in seinem Psychothriller-Kammerspiel: Lukas mit seinen Behauptungen, Agnes mit ihrer Abwehr, ein Auf und Ab der Manipulationen, ein Hin und Her von Angriff und Verteidigung, das sich in immer tödlichere Bedrohlichkeit aufschwingt… Immer wieder wendet sich das Blatt mit einer neuen Argumentation: Wie war das in der Schulzeit — er der Außenseiter, sie die allseits beliebte Schönheit — oder war sie eigentlich sehr einsam, und hat er sich nur im Klischee gefallen? Oder ist das Klischee in der Realität vielleicht die glaubwürdigere Kategorie der Existenz?

Es gab damals auf einer Party einen Unfall: Agnes‘ damaliger Freund fuhr besoffen gegen einen Baum. Zuvor hatten die beiden sich im Streit getrennt. Sie hat sich in einem Zimmer ausgeweint — zufällig in Anwesenheit von Lukas; drogengeschwängert nahm an diesem Abend das Unheil seinen Lauf, an dem Lukas sich obsessiv festbeißt. Ein Unheil, das vielleicht nur fantasiert wurde? Oder eines, das noch viel schlimmer war als er sich vorstellen kann?
Gaul kennt die Regeln eines solchen Zwei-Personen-Psycho-Duells, er weiß die dramatischen Punkte gekonnt zu setzen. Immer tiefere Schichten erreicht er, immer weiter blickt er in seine Charaktere hinein, um stets wieder neue Facetten und andere Aspekte und erweiterte Perspektiven anzubieten. Das ist spannend, und vor allem gut gespielt von den großartig besetzten Darstellern Mina Tander und Godehard Giese, die ihre Figuren impulsiv angehen und sie immer mehr häuten.

Doch gegen Ende überspannt Gaul den Bogen; zu viele Twists hat es gegeben — das fühlt sich während des Sehens vielleicht noch logisch an, einem nachträglichen Nachdenken hält das Ganze nicht wirklich stand. Wüsste man am Anfang alles, was das Ende bietet — wüssten die Figuren alles, was sie am Ende behaupten — dann wäre wahrscheinlich alles eben doch anders verlaufen. Aber von vorne nach hinten gesehen hat Das Hotelzimmer durchaus Charme. Und es treibt sein Spiel um Wahrheit und Behauptung auch noch im Abspann: nach dem gleichnamigen Roman von Agnes Lehner (!) sei das Drehbuch geschrieben. Wenn man den Namen googelt, findet man auch tatsächlich ein Buch von einer Agnes Lehner: aber ein ganz anderes, nämlich Trockentoiletten in alpinen Lagen.
 

Das Hotelzimmer (2014)

Ein Mann nimmt eine Frau mit in sein Hotelzimmer; sie landen im Bett. Hinterher eröffnet ihm die Frau, dass sie sich schon lange kennen. Vor zehn Jahren habe er sie vergewaltigt. Er weiß, dass das nicht stimmt. Kann sich zumindest nicht erinnern. Oder will er sich nicht erinnern?

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