Der Papst ist kein Jeansboy

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Eine Passionsgeschichte der anderen Art

„Verdinge mich als Sklave oder Talkmaster. Das Eine nur privat und das andere nur öffentlich.“ Die Selbstdarstellung auf Hermes Phettbergs Twitter-Account ist aussagekräftig. Hermes Phettberg ist ein Mann der Extreme mit einem unstillbaren Verlangen nach SM-Sex und öffentlicher Wahrnehmung. In den 90ern konnte er zumindest letzteres vorübergehend befriedigen, als er mit der Talkshow Phettbergs Nette Leit Show seinen Platz in der Öffentlichkeit bei ORF und 3Sat gefunden hat. Damals brachte er 170 kg auf die Bühne, ein Fettberg mit langen Haaren, erstaunlichem Witz und verquere Volten schlagendem Fabuliergeist. Der Außenseiter mit Hauptschulabschluss, der Provokateur mit polymorph-perversen Neigungen, plötzlich war er TV-Kult.
Jetzt wirkt er wie ein verstörtes Kind, wie ein waidwundes Tier, das hinter seinem Computermonitor hervorlugt, als misstraue es dem Treiben um sich herum. Dabei ist gar kein Trubel, kein großes Filmteam in seine Wohnung eingefallen. Lediglich der Filmemacher Sobo Swobodnik, der angefragt hatte, ob er einen Film über ihn drehen dürfe. Die Antwort darauf kam – wie der Regisseur bei der Premiere von Der Papst ist kein Jeansboy in Anwesenheit des Protagonisten beim DOK Leipzig erzählt – per E-Mail in einem Satz: „Was denken Sie, was ich Narziss wohl gerne hätte“.

Der Film spart die mediale Vergangenheit von Hermes Phettberg gänzlich aus. Der Zuschauer begegnet dem Protagonisten konsequent im Hier und Jetzt. Die Standardfrage nach „Frucade oder Eierlikör“, mit der er seine Talkshow-Gäste empfing, stellt sich schon lange nicht mehr. Heute ist die Frage, die er sich nuschelnd und repetitiv stellt „Wo sind die Tabletten?“ Eine ganze Batterie Tablettenschachteln ist auf dem Schreibtisch aufgereiht, Phettberg bewegt sich mit kleinen schnellen Trippelschritten durch die enge Wohnung – seltsam viel Bewegung für ein paar Meter mühseligen Vorankommens. Ein grotesk verkrümmter Körper, mit Armen, die aus den Schultern baumeln wie lange Spinnenbeine. 100 Kilo Körpergewicht sind ihm abhanden gekommen seit damals und auch die Aufmerksamkeit und Zuwendung der Öffentlichkeit.

Mehrere Schlaganfälle haben ihn seit 2007 erwischt, eine Hirnblutung wurde zu spät erkannt, sie hat sein Seh- und Sprachzentrum im Gehirn beeinträchtigt. Damit ist der Außenseiter unfreiwillig völlig aus der Gesellschaft gefallen und führt ein Leben als „Publizist und Elender in Wien“, wie er es selbst bezeichnet.

Wie eine Spinne im Netz haust er in seiner kleinen Wohnung im obersten Stockwerk eines Mietshauses. Er lebt von Sozialhilfe, er ernährt sich von „Essen auf Rädern“, das ihm vor seine Tür gebracht wird, er selbst steigt selten hinab auf die Straße. Seine Verbindung zur Welt versucht er über das Internet aufrecht zu erhalten. Seit 2008 stellt er sein „Gestion“, ein akribisch geführtes Blog, ins Netz, in dem er seine Tage verwaltet, seine Mahlzeiten detailliert protokolliert. Im Film werden Eintragungen daraus von Josef Hader rezitiert. Phettberg selbst spricht retardiert und in ständigen Wiederholungen, während er durch die Wohnung wuselt, oder immer wieder für kurze Momente in Apathie versinkend dasitzt. Er kämpft sich mühsam durch den jämmerlichen Rest seines Lebens. Das gelegentliche Suhlen in einer gehörigen Portion Selbstmitleid mit einbegriffen. Denn das mit den geilen Jeansboys zum Beispiel, „das ist alles vorbei“, wie er beim Durchstöbern seiner Sammlung von aus dem Internet ausgedruckten Pornobildern bitter bemerkt. Wenige Freunde besuchen ihn, einen trifft er in der Krankenhauskantine, wo er einmal die Woche sitzt und isst, an seinem Lieblingsplatz unter dem gekreuzigten Jesus.

Dieses Motiv nimmt der Regisseur als gestalterisches und dramaturgisches Element auf, indem er den Film mit Schrifttafeln in Kapitel unterteilt, dem Kreuzweg Christi nachempfunden, allerdings wird am Ende die Auferstehung ausgespart – und die Texte sind explizite sexuelle Kontaktwünsche, vorgefunden auf den Wänden von öffentlichen Toiletten in Wien.

Die Film-Bilder sind in ästhetisierendem schwarz-weiß gehalten und spielen mit einem geringen Schärfentiefe-Bereich. Letzteres mag auch den technischen Grenzen einer hochauflösenden digitalen Spiegelreflex-Kamera geschuldet sein, fügt sich aber in ein bemerkenswertes ästhetisches und formales Ganzes, dass aus den beobachteten Momenten, die der Regisseur mit Hermes Phettberg verbracht hat, einen außergewöhnlichen und sehr sehenswerten Dokumentarfilm machen. Ein stiller, in Momenten verstörender Film, der den Zuschauer mit einem manchmal nicht leicht auszuhaltenden Protagonisten konfrontiert, der gerade durch seine grotesken Deformierungen und eigenwilligen Obsessionen den Zuschauer wiederum damit konfrontiert, was es eigentlich bedeutet, als Mensch, der man ist, geliebt zu werden und einen Platz in der Gesellschaft gefunden zu haben.

Der Papst ist kein Jeansboy

„Verdinge mich als Sklave oder Talkmaster. Das Eine nur privat und das andere nur öffentlich.“ Die Selbstdarstellung auf Hermes Phettbergs Twitter-Account ist aussagekräftig. Hermes Phettberg ist ein Mann der Extreme mit einem unstillbaren Verlangen nach SM-Sex und öffentlicher Wahrnehmung. In den 90ern konnte er zumindest letzteres vorübergehend befriedigen, als er mit der Talkshow „Phettbergs Nette Leit Show“ seinen Platz in der Öffentlichkeit bei ORF und 3Sat gefunden hat.
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