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In „All I Never Wanted“ werfen Annika Blendl und Leonie Stade einen satirischen Blick auf die Welt des schönen Scheins – in einem Mix aus Dokumentarischem und Überzogenem.

All I Never Wanted (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Jägerinnen des Glücks

Schön, (erfolg-)reich und glücklich – das sind die meisten von uns ja leider nur auf Instagram. In ihrem Film „All I Never Wanted“ befassen sich Annika Blendl und Leonie Stade mit der Gratwanderung zwischen Sein und Schein – und finden dafür eine adäquate Form: Ihr Werk ist weder ein klassischer Dokumentarfilm noch ein üblicher Spielfilm, sondern bewegt sich irgendwo dazwischen. Eine bitterböse, tragikomische Mockumentary, die von hochfliegenden Träumen, vom Kampf um Anerkennung und vom Scheitern erzählt.

Zu Beginn sehen wir Blendl und Stade, die gemeinsam auch schon die dokumentarische Betrachtung Mollath (2015) realisiert haben, als Versionen ihrer selbst auf dem roten Teppich beim Filmfest München. Dort werden sie erst mal von der Security beiseite geräumt: „Wir haben hier echte Promis, tut mir leid.“ Später kommen sie mit einem schmierigen Kerl ins Gespräch, der sich bereit erklärt, ihr neues Projekt zu finanzieren; allerdings scheint er mehr Interesse an den beiden Frauen als an deren Arbeit zu haben. Für ihren geplanten Film begleiten sie zum einen die 17-jährige Schülerin Nina (Lida Freudenreich), die in Mailand als Model durchstarten will, und zum anderen die 42-jährige Fernsehschauspielerin Mareile (Mareile Blendl), die am Provinztheater den Part der Jungfrau von Orleans annimmt, nachdem sie als langjährige TV-Kommissarin den Serientod gestorben ist und durch eine jüngere Kollegin ersetzt wurde.

In seiner satirischen Überspitzung und seinem Spiel mit Wirklichkeit und Inszenierung irritiert All I Never Wanted immer wieder. In einigen Momenten möchte man das Gezeigte als allzu plump und übertrieben abtun – und gerät dann doch ins Zweifeln, ob das Ganze nicht tatsächlich erschreckend nah an den echten Verhältnissen in der Mode- und in der Medienbranche ist. Während oft klar ist, dass Situationen gespielt sind, ist man sich als Zuschauer_in an ein paar Stellen nicht völlig sicher: Hat sich Lida Freudenreich in ihrer Rolle als Nina auf reale Castings begeben – und wenn ja, wussten die Leute dort genau Bescheid? Es gibt Szenen in All I Never Wanted, die wirklich schmerzhaft sind, weil sie die Oberflächlichkeit und Grausamkeit unserer Gesellschaft offenlegen. Nicht durchweg geschieht dies auf subtile, aber stets auf ziemlich effektive Weise.

Lobenswert ist, dass Blendl und Stade auch mit sich selbst beziehungsweise mit ihren fiktionalisierten Versionen äußerst kritisch umgehen. Die beiden Filmemacherinnen, die hier in Erscheinung treten, sind gegen Fehlentscheidungen nicht gefeit; sie sind nicht zwangsläufig die Guten, sondern jagen wie Nina und Mareile ihrem vermeintlichen Glück hinterher – und das funktioniert nicht immer ohne Verluste. Von ihrer Aufgabe, auf die zunächst recht fragile Nina aufzupassen, sind die beiden merklich überfordert; Verantwortungsgefühl und der Wunsch nach gutem Material geraten rasch in Konflikt miteinander. Die klügsten und hellsichtigsten Worte des gesamten Films, die zugleich eine Anklage gegen die Ausbeutung junger Menschen wie Nina sind, stammen interessanterweise von einer Sexworkerin.

Eine Erfolgsgeschichte will der Produzent, mit dem sich das Regie-Duo einlässt, geliefert bekommen – doch All I Never Wanted schildert stattdessen (wie schon in seinem perfekten Titel, in dem ein einziger Buchstabe das ganz große Glück ruiniert), wie dicht Erfolg und Misserfolg beieinanderliegen können. Die zusätzlichen Follower auf Instagram, die Berge von Blumensträußen nach dem Bühnenauftritt, die honigsüßen Worte bei der glamourösen Filmpremiere – sie sind ein äußerliches Zeichen von Erfolg. Aber der Film demonstriert mit der nötigen Härte, wie schwer es ist, sich den hässlichen Rest irgendwie schönzureden.

All I Never Wanted (2019)

In „All I Never Wanted“ spielen die beiden Filmemacherinnen Leonie Stade und Annika Blendl sich gewissermaßen selbst. Ihre filmischen Alter Egos drehen eine Dokumentation über zwei Freundinnen, die in den eitlen Scheinwelten der Film- und Modebranche ihren Platz suchen. Auf der Jagd nach dem Traum von Karriere und Selbstverwirklichung müssen alle vier aufpassen, ihre Freundschaft und Integrität nicht aufs Spiel zu setzen.

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