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Eine Band, die keiner (mehr) kennt und ein Film, der das ändern möchte. In ihrem Dokumentarfilmdebüt rufen die Regisseure Julian Brimmers und Benjamin Westermann die Anfänge des Deutschrap zurück ins Gedächtnis.

We Almost Lost Bochum - Die Geschichte von RAG (2020)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Verschenktes Potenzial

Kennen Sie die Ruhrpott AG, kurz RAG? Müssen Sie auch nicht. Denn die vier Musiker aus dem Ruhrgebiet zählen zu jenem Phänomen, das sich in Kunstkreisen reger Beliebtheit erfreut. Von Kolleg*innen als Vorbilder zitiert, von Fans verehrt und von der Kritik gefeiert, blieb der große Durchbruch verwehrt. Nie im Mainstream angekommen, sind die zwei RAG-Platten außerhalb der Hip-Hop-Szene bis heute Geheimtipps geblieben. Mit kleinem Team und größtenteils in Eigenregie erstellt, begibt sich das Duo Julian Brimmers und Benjamin Westermann auf eine musikalische Zeitreise. Ihr Dokumentarfilm ist auch eine kleine Geschichte des Hip-Hops zwischen Duisburg, Essen und Bochum, zwischen Herne-West und Lüdenscheid-Nord.

RAG, das sind Gabriel Saygbe, Karsten Stieneke, Pahel Schulinus Brunis und der 2011 verstorbene Michael Galla. Auf der Bühne traten sie unter ihren Künstlernamen Mr. Wiz, Aphroe, Pahel und Galla auf. Bevor sie zueinanderfanden, waren Wiz und Aphroe in der Hip-Hop-Crew Raid, Pahel und Galla bei Filo Joes aktiv. Ihr geringer Bekanntheitsgrad hängt nicht nur damit zusammen, dass auf das RAG-Debütalbum „Unter Tage“ (1998) drei Jahre später mit „P.O.T.T.E.N.T.I.A.L.“ nur noch ein weiteres Album folgte. Viel hat auch mit der hierzulande stets allzu eingeengten Sicht auf den Hip-Hop zu tun.

Geht es in der Öffentlichkeit um die Geschichte des deutschen Sprechgesangs, ist meist nur von den großen Szenen in Hamburg und Stuttgart die Rede sowie von den neuen Impulsen, die ein paar Jahre später von Berlin ausgingen. Dabei waren schon die Anfänge viel versprengter und diverser. Gemeinsam mit den drei noch verbliebenen RAG-Mitgliedern steigen die zwei Filmemacher mitten hinein in die bewegte Geschichte des Ruhrpott-Raps.

Formal fährt Brimmers‘ und Westermanns Dokumentarfilm die aus vergleichbaren Werken bekannte und bewährte Doppelstrategie. Die erste gemeinsame Tour nach Jahren anlässlich des 20. Geburtstags ihres Debütalbums bildet den erzählerischen roten Faden. Von dort aus besuchen die Musiker alte Wohn- und Wirkungsstätten, kramen in Privatarchiven und ihren Erinnerungen und treten mal allein, mal gemeinsam zum Gespräch vor die Kamera. Ergänzt wird das Ganze von wuchtigen Bildern qualmender Industrieanlagen und einer Vielzahl prominenter Talking Heads aus der Branche. 

Wie so viele Dokumentarfilme über Musikrichtungen, künstlerische Strömungen und Subkulturen gerät auch dieser dadurch ein wenig zu sehr zu einem launigen, aber etwas belanglosen Klassentreffen. Marteria erstarrt in Ehrfurcht, Curse lässt sein Sprechorgan raunen, Jan Delay und Kool Savas sitzen cool in der Ecke und die Stieber Twins kurpfälzeln sich gewohnt spaßig-analytisch durch die deutsche Hip-Hop-Historie.

Dazwischen erzählen Brimmers und Westermann unzählige kleine und große Nebengeschichten: die Bandgeschichten von Raid und Filo Joes, die Geschichte vom ersten großen Scheitern des deutschen Hip-Hops durch dessen Kommerzialisierung und die Lebensgeschichten der vier Musiker. Hier hat der Film seine stärksten Momente, weil er von Kreativität, Gruppendynamik und Blockaden, von Selbstzweifeln und Selbstmanipulation, von Diskriminierung, Rassismus und Depression erzählt.

Manches davon, vor allem die großen Entwicklungslinien in der deutschen Musikindustrie, haben andere Dokumentarfilme schon deutlich besser aufgezeigt. Nicht alles geht gleich tief, nimmt einen beim Zusehen mit derselben Intensität mit. Letztlich ist dieses ständige inhaltliche (aber auch formale) Hin und Her, Auf und Ab und Klein-Klein die größte Schwäche.

We almost lost Bochum will zu viel auf einmal, wodurch die feinfühligen Momente der bewegenden Musikerleben, von denen Michael Gallas ein viel zu frühes Ende nahm, stets drohen, unter einem Informationsberg begraben zu werden. Am Ende ergeht es den Filmemachern ein bisschen wie ihren Protagonisten. Auch sie haben jede Menge Potenzial und wissen nicht recht, wohin damit.

We Almost Lost Bochum - Die Geschichte von RAG (2020)

„We Almost Lost Bochum“ erzählt die Geschichte der Ruhrpott AG, der besten deutschen HipHop-Band, die nie den Sprung ins kollektive Bewusstsein vollzogen hat. Ein Film über Freundschaft, HipHop, Leben und Tod im Ruhrgebiet.

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