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WAR SAILOR folgt einer norwegischen Familie durch die Wirren des Zweite Weltkrieges und darüber hinaus.

War Sailor (2022)

Eine Filmkritik von Patrick Torma

Krieg und Familie

Stolze 110 Millionen Kronen (etwa 10 Millionen Euro) soll Norwegens diesjährige Oscar-Einreichung gekostet haben. „War Sailor“ setzt sich damit an die Spitze der teuersten Filme, die im Land der Fjorde produziert wurden. Dem Ergebnis sieht man dieses Budget an. Wenngleich Regisseur Gunnar Vikene darauf verzichtet, den Zweiten Weltkrieg als bildgewaltiges Trommelfeuer zu inszenieren. Vielmehr erzählt sein Anti-Kriegsdrama eine mehrere Jahrzehnte umspannende Familiengeschichte.

„Wir haben den Scheiß doch nicht angefangen!“ Empörung erfasst die Crew eines norwegischen Frachters. Bis hierhin wähnten sich die Seeleute freiwillig an Bord. Doch der Überfall der Nazis auf Norwegen im April 1940 ändert alles: Plötzlich sind die Männer (und Frauen) zwangsverpflichtet. Bevor das Murren Ausmaße einer Meuterei annehmen kann, appelliert der Käpt’n ans vaterländische Gewissen – garniert mit dem dezenten Hinweis, dass Deserteure prominente Erwähnung in der heimischen Zeitung fänden …

Zu den Patrioten wider Willen gehören Alfred Garnes (Kristoffer Joner) und sein bester Freund Sigbjørn (Pål Sverre Hagen). Weil der gelernte Koch an Land keine Anstellung findet, heuert Alfred im Herbst 1939 als Kombüsenchef auf einem Handelsschiff an. Ein Job mit erhöhtem Risiko: Der Atlantik an sich ist für seinen rauen Wellengang berüchtigt, und als Schauplatz eines Krieges ist er ganz bestimmt nicht ruhiger geworden. Aber: Noch ist die gesamte Welt nicht involviert, das beschauliche wie neutrale Norwegen erst recht nicht. Also blendet Alfred die Furcht vor einem Auslaufen ohne Wiederkehr aus. Zurück bleiben – mehr oder minder einverstanden – die drei Kinder und Ehefrau Cecilia (Ine Marie Wilmann). Die ringt Sigbjørn, der die Reise als Heizer antritt, zum Abschied ein Versprechen ab: Er möge doch bitte Sorge tragen, dass ihr Gatte unbeschadet zurückkehrt.

Es bedarf keiner hellseherischen Talente, um zu erahnen: Mit diesem Ehrenwort bürdet sich Sigbjørn eine Menge auf. In einem lebensfeindlichen Kriegsalltag, eingepfercht zwischen der klaustrophobischen Enge knarzender Schiffsbäuche und der unwirtlichen Weite der kalten See, ist die Einflusssphäre des Einzelnen knapp bemessen. Dazu ein unsichtbarer Feind, der gar nicht erst versucht, zwischen militärischer und ziviler Überfahrt zu unterscheiden. Die beiden Freunde sind den Wirren des Krieges ausgeliefert.

Vignettenartig lässt Regisseur Gunnar Vikene den Zweiten Weltkrieg ans uns vorbeiziehen. War Sailor springt durch die Kriegsjahre, von einem einschneidenden Erlebnis zum nächsten. Die Kamera klebt an den Figuren und verengt den Blick aufs persönliche Erleben. Die weiten Kriegspanoramen, die das Genre üblicherweise bebildern, verfrachtet der Film ins Off. Sie sind bloß einen Kameraschwenk entfernt, wenn die Matrosen panisch aus dem Schiffsinneren ans Deck stürmen und die Augen den Horizont nach Fluchtpunkten absuchen.  Doch ästhetische Verschnaufpausen finden hier keinen Platz, Rauchschwaden, Schutt und Staub rauben uns zusätzlich die Sicht. Wer da wen angreift, ist nicht ersichtlich. Es ist aber auch unerheblich.

War Sailor setzt derartige Schlachtenszenen sparsam ein. Und wenn es zu Kriegshandlungen kommt, zieht es der Film vor, uns mit den Folgen konfrontieren, anstatt mit effektvollem Dauerbeschuss aufzuwarten. Auch was die Drastik des Sterbens betrifft, hält sich WAR SAILOR zurück. Nicht, dass keine körperlichen Verwundungen zu sehen wären. Die Entmenschlichung des Krieges mithilfe besonders expliziter Bilder und bis zur Unkenntlichkeit zerfetzter Soldatenleiber zu illustrieren, dies überlässt der Film jedoch anderen. Umso stärker interessiert ist er an den seelischen Narben, die jeder Krieg hinterlässt.

Deswegen endet War Sailor auch nicht mit der Befreiung Norwegens: Nach der Kapitulation der Deutschen sattelt Vikene nochmal in Episodenlänge auf, um die Geschichte der Familie Garnes bis in die 1970er-Jahre auszuerzählen. In seinem umfassenden Blick auf den Krieg und seine Nachwehen erinnert WAR SAILOR an Michael Cinimos Vietnam-Epos Die durch die Hölle gehen. Wobei der Film einen Schritt weitergeht: Hatte sich die „unwissende“ Meryl Streep dem Trauma des Rückkehrers Robert De Niro unterzuordnen, ermächtigt War Sailor die Daheimgebliebenen. So ist Cecilia alles andere als ein „Hausmütterchen“, das nur darauf wartet, ihren geliebten Mann in die Arme zu schließen.

Allerdings: Mancher Perspektivwechsel geht in diesen Raffungen unter, gerade weil War Sailor in seinen zweieinhalb Stunden versucht, möglichst viele Facetten norwegischer wie universeller Kriegstraumata zu berücksichtigen. Auch ist der Ausgang einiger Begegnungen vorhersehbar. Zum Abspann hin mag War Sailor daher einige Umdrehungen zu viel auf der Uhr haben. Davon abgesehen, bietet dieser norwegische Beitrag durchdachtes und intensives Anti-Kriegskino, das die Vergleiche mit den wirklichen Big-Budget-Produktionen nicht scheuen muss. Auch, weil er eigene Wege findet.

War Sailor (2022)

Während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Matrose Alfred Garnes aus Bergen ist Vater von drei Kindern. Als der Krieg ausbricht, arbeiten er und sein Kumpel Sigbjørn auf einem Handelsschiff mitten im Atlantik. Ihr Ziel ist New York, und sie sollen eigentlich nach 18 Monaten wieder zurück sein. Als Deutschland im April 1940 in Norwegen einmarschiert, wird das Schiff als wichtig für den weiteren Verlauf des Krieges erklärt, und sie selbst werden eingezogen. Ohne Waffen an Bord und in Zivil segeln sie mit dem Frachtschiff für die Alliierten durch die ganze Welt, um Vorräte und Munition zu liefern. Die beiden Männer kämpfen auf dem Schiff um ihr Überleben, das jeden Moment von den deutschen U-Booten angegriffen werden könnte. Zunehmend macht sich an Bord Müdigkeit und Hoffnungslosigkeit breit. Alfreds Ehefrau Cecilia müht sich unterdessen durch die Kriegsjahre und zieht die drei Kinder alleine auf, ohne zu wissen, ob sie den Ehemann und Vater jemals wiedersehen werden. (Quelle: Wikipedia)

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