Unter der Haut

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Make-Up auf Gefühlen

Mit ihrem Debütfilm Unter der Haut versucht die Schweizerin Claudia Lorenz die Emotionalität und Alltäglichkeit einer extremen Ehekrise einzufangen. Im weichgespülten Blau der ansonsten ordentlichen Kameraarbeit von Jutta Tränkle sind diese ausbrechenden Gefühle und Schmerzen eine derart zurechtgestutzte Sache, dass man – wie so oft – eher die Projektmappe sieht als einen Film.
Es geht um das Ehepaar Alice (Ursina Lardi) und Frank (Dominique Jann), Eltern dreier Kinder. Sie ziehen in eine neue Wohnung, doch aus der Euphorie eines Neunanfangs wird schon bald die Brutalität eines ganz anderen Neubeginns, als sich Frank nach fast 20 Jahren Ehe zu seiner Homosexualität bekennt. Ohne sich völlig zu entscheiden, wechselt der Film etwas unnachvollziehbar die Positionen zwischen Alice, die letztlich mehr im Zentrum steht, und Frank. Das Drehbuch bemüht sich spürbar um eine objektive, wenn auch konservative (die Familie ist wichtiger als alles!) Beobachtung der beiden Hauptfiguren und verurteilt sehr nah an den Gefühlen niemanden. Die Illusion der häuslichen Wärme wird hier erst demaskiert und dann doch, trotz vieler sichtbarer Wunden, wieder stabilisiert. Zumindest in diesem Sinn ist Unter der Haut ein ehrlicher Film.

Das Bemühen um eine Beiläufigkeit des Auf und Ab scheitert jedoch kläglich. Denn wo diese aufgesetzte, mit Zwischenschnitten und Jump-Cuts dynamisierte Familienwelt im Stil einer Susanne Bier nach einer sowieso schon fragwürdigen Form von Realismus schielt, da setzt sich das Drehbuch aus einer klaren Linie an Konflikten und Emotionen zusammen, die nichts mit Alltäglichkeit zu tun haben. Damit zusammen hängt auch der nicht vorhandene Umgang mit Zeit, die hier mal schnell und mal langsam vergeht, aber nie eine wirkliche Auswirkung auf die Figuren hat, obwohl sie doch gerade in solchen Situationen so wichtig wäre. Es ist Schauspielkino im schlechten Sinne, weil es sich nur aus einer Aneinanderreihung von Schauspielmomenten zusammensetzt – so setzt Alice beispielsweise ihren Dialog mit Frank über dessen erste homosexuelle Andeutungen über mehrere Tage hinweg fort. Es ist nicht so, dass man sich unbedingt dafür interessieren würde, was dazwischen alles passiert, aber man darf sich schon fragen, wozu der Szenenwechsel notwendig war. Und wenn man den Tourismus-Touch der zweiten Location des Dialogs sieht, ahnt man schlimmes. Man mag das Verdichtung nennen, man kann es aber auch spürbare Konstruiertheit nennen und diese widerspricht dem Pseudo-Realismus der Handkamera und wilden Schnitte.

Ein noch größeres Problem des Films ist seine fehlende Subtilität. Das beginnt beim extrem merkbaren Make-Up und zieht sich bis zu den Dialogen hin. Ein Beispiel für diese völlige Abwesenheit von Subtilität: Alice findet eine alte Tonbandaufnahme, auf der sie und Frank im Rahmen ihrer Hochzeit Wünsche für die Zukunft formulieren. Diese Vorstellungen einer Ehe wurden natürlich nicht gehalten, wie Nahaufnahmen der beiden verraten. Am Ende reißt dann tatsächlich das Tonband und es gibt einen Bandsalat. Ein anderes Beispiel: Nach seinem Outing sehen wir Frank plötzlich in einer gelben Lederjacke durch die Welt laufen. Sonst hätte auch niemand die Veränderung bemerkt. In welcher Welt leben diese Filme, in denen immer jedes Gefühl verbalisiert und dreifach unterstrichen wird, wir ständig in die Gefühlswelten von Menschen blicken können, nur damit wir uns identifizieren? Man hat das Gefühl, dass die Gewissensbisse von Frank und das Leiden von Alice aus einem Handbuch sind, das man sich intellektuell überlegt, aber sicher nicht gelebt hat. Es geht nicht darum, dass man Klischees umgehen muss, aber wenn man sie bedient, dann muss man sie fühlen. In einigen Szenen glaubt man zumindest Ursula Lardi, dass dies der Fall ist. Vor allem das Outing selbst ist von hoher Intensität und man merkt ihrem Spiel an, dass eine Welt unter ihren Füßen weggezogen wird.

Von dieser Intensität ist sonst kaum etwas zu spüren. Die Sexszenen sind sauber für das 20-Uhr-Programm des Schweizer Fernsehens ohne jegliche, vom Titel angedeutete Körperlichkeit geschnitten. Die Haut, auf die sich die Kamera immer wieder fokussiert, scheint das Maximum an Körperlichkeit. Selbst in einer lächerlichen Sexszene im Wald zwischen Frank und seinem neuen Partner Pablo (Antonio Buil) gibt es keinen wirklichen Kuss auf den Mund. Die Bilder sind immerzu sanft, als wollten sie niemanden erschrecken.

Was bleibt, ist eine spröde Geschichte, die natürlich in einem Moment des Glücks enden muss, damit das Zielpublikum nach dem Film beruhigt den Fernseher ausschalten darf. Dagegen wäre nichts einzuwenden; nur läuft dieser Film im Kino.

Unter der Haut

Mit ihrem Debütfilm „Unter der Haut“ versucht die Schweizerin Claudia Lorenz die Emotionalität und Alltäglichkeit einer extremen Ehekrise einzufangen. Im weichgespülten Blau der ansonsten ordentlichen Kameraarbeit von Jutta Tränkle sind diese ausbrechenden Gefühle und Schmerzen eine derart zurechtgestutzte Sache, dass man – wie so oft – eher die Projektmappe sieht als einen Film.
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Meinungen

Alex · 23.12.2015

Kann man diesen Film auch irgendwo sehen?