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Zwischen Berufsverkehr und Landschaftsgemälde, zwischen Tag und Nacht treffen sich zwei Fremde im Nirgendwo. Trügerisch reduziert präsentiert der japanische Regisseur Tatsunari Ota eine Meditation aus Begegnungen.

There Is a Stone (2022)

Eine Filmkritik von Niklas Michels

Appell an das Kindsein

Ein Windzug zieht durch die baumlose Umgebung. Kommunikation fällt schwer, wenn man sich nicht versteht. Japanische Höflichkeit zaubert allen ein Lächeln ins Gesicht, aber verspiegelt auch jede Oberfläche. Beim Umherschweifen trifft eine junge Frau einen Mann, der – um mit ihr ein Gespräch anzufangen – den anliegenden Fluss durchquert. „Haben Sie etwas gesagt?“, fragt er. „Nein, tut mir leid.“ Ein holpriger Start. Doch als die beiden aufhören, Worte zu ihrer Sprache zu machen, ziehen sie gemeinsam den Fluss entlang, um die Umgebung neu zu entdecken.

Die Landschaft in There is a Stone bleibt stets ein Zwischenraum. Nicht menschenleer, nicht belebt. Keine Stadt, aber auch keine reine Natur. Das Konzept des „Liminal Space“ geistert bereits einige Jahre durch Netz, bezeichnet die Verkörperung eines solchen Zwischenraumes. In der Internetkultur sind sie vor allem für die unheimliche Vertrautheit, die solche Räume erzeugen, bekannt. There is a Stone inszeniert diesen Raum allerdings vollkommen ohne Fallhöhe oder Schrecken, etwaige Leerstellen werden mit eigenen Erfahrungen gefüllt.

Ebenso bleiben alle Handlungen in diesem Raum eine Latenz – There is a Stone spielt somit zwischen der Auslösung und dem Auftreten von Effekten. Blicke zwischen den beiden Figuren werden geworfen, aber nicht aufgefangen – kaum möglich ist es, die Chemie zu kategorisieren, sie bleibt latent. Ebenso unmöglich ist es, dem Gesehenen ein vorgefertigtes Etikett aufzuzwingen. There is a Stone ist keine filmische Einbahnstraße, sondern bietet dem Zuschauenden eine Weite an Blickwinkeln. Nur der kontinuierliche Wegfall des Tageslichtes signalisiert, dass Zeit vergeht. Auf einmal ist es dunkel, und die beiden scheinen den ganzen Tag zusammen verbracht zu haben.

Regisseur Tatsunari Ota erinnert damit an einen unvoreingenommenen Blick. Mit Kinderaugen gehen die beiden durch die Landschaft und zweckentfremden ihre Umgebung. Steine werden gestapelt, mit Stöcken Golf gespielt oder im Sand versunken – keine Worte vonnöten. Nur die Regeln mancher Spiele müssen kurz geklärt werden. „5 Punkte“, ruft die Frau, nachdem sie einen Stein getroffen hat. Ota zelebriert das Unproduktive. Schamlos lässt er seine Figuren für einen Augenblick wieder zu Kindern werden und gibt Themen außerhalb seiner Zwischenwelt keinen Raum. Dabei fällt vor allem eins auf: die unglaubliche Leere des Films, der ein reiner Aufbewahrungsbehälter der beschriebenen Spiele wird.

Ota reflektiert seine Gedanken gegenüber der Sprache abschließend mit einer Aufnahme, in der die Ereignisse des Tages fein säuberlich – und vollkommen nüchtern – aufgeschrieben werden. Betrachtet man die knappen Zeilen, ist in dieser simplen Zusammenfassung alles zwischen den Zeilen der Begegnung verloren gegangen.

There is a Stone ist eine Reduktion von Sprache auf den Moment, die Leere danach und funktioniert dabei vollkommen ohne Mystizismus. So ist man bei den lange innehaltenden Bildern an Filme wie Memoria (2021) erinnert. Und doch ist hier etwas Grundlegendes anders: Einerseits ist das Verweilen der Kamera lediglich eine Einladung, den Blick schweifen zu lassen, anderseits ist keine Aufnahme reich an Komplexität, die entschlüsselt werden muss (wie bei anderen Kandidaten des Slow Cinema).

Ein ästhetischer Zwilling ist vielmehr der Film Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall (2022) von Hong Sang-soo. Auch dieser Film beschäftigt sich mit Sprache, die der Kommunikation im Weg ist. Häufig wird der Film Dogtooth (2009) von Yorgos Lanthimos als die Verfilmung der Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins angesehen. Dort wird die Bedeutung von Worten vertauscht und verdreht, um ein dystopisches Familienbild zu kreieren. There is a Stone beschreibt Wittgenstein mit seinen vagen Sprachspielen jedoch wesentlich präziser. Allerdings sollte man als Zuschauer wachsam sein, nicht zu tief in die teils überästhetisierten Bildern einzutauchen. Einige der Bilder ließen sich ohne Zweifel ideal in eine Kachel bei Instagram platzieren. Der Film verharrt gleichsam in seiner vertrauten Handlungslosigkeit und scheint von der eigenen Einfachheit allzu sehr eingenommen zu sein. Er wird Gemüter spalten, Liebhaber der „Genrelosigkeit“ begeistern und bei anderen Zuschauern womöglich auf Unverständnis stoßen.

There is a Stone ist ein behutsamer Blick in vergessene Erinnerungen, eine Abhandlung über Sprache und vor allem ein Appell an das Kindsein. Letztendlich spiegelt er Wittgensteins Worte wider: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

There Is a Stone (2022)

Eine zufällige Begegung am Fluss, ein flüchtiges Zusammensein, ein Tag Auszeit — Tatsunari Otas Film erkundet eine Welt ohne Produktivität und findet Freude am Müßiggang und an der Verspieltheit — wunderschön in seiner Beiläufigkeit, überraschend in Details.

Yoshikawa arbeitet in einer Agentur und besucht eine Stadt, um für ein neues Reiseprojekt zu recherchieren. Von der Burg, die sie sucht, ist jedoch außer einer Hinweistafel nichts mehr zu finden. Auf dem Weg zurück zur Bahn kommt sie an ein Flussbett und entdeckt auf der anderen Seite Doi, der geschickt Steine übers Wasser springen lässt. Nach anfänglicher Unsicherheit spazieren sie zusammen am Fluss entlang, und als Doi verschiedene Spiele für den Fluss vorschlägt, vergisst Yoshikawa allmählich Arbeit und Zeit. Beide vertiefen sich in die Spiele, die zwischen ihnen erfunden wurden, suchen nach ihren „Lieblingssteinen“, spielen mit Ästen und verbringen Zeit miteinander, als wären sie wieder Kinder. Doch als die Sonne untergeht, geht die Zeit, die sie gemeinsam verbracht haben, zu Ende.

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