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Die junge norwegische Regisseurin Franciska Eliassen erzählt in ihrem ergreifenden Debüt von der verzweifelten Angst und der hoffnungslosen Wut eines jungen Mädchens angesichts des Klimawandels.

Sister, What Grows Where Land Is Sick? (2022)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Eine schwindende Welt

Die Zeit der „unbekümmerten“ Teenage Angst ist vorbei. Im Vergleich zu der großen Katastrophe, auf die unsere Welt nach wie vor ungebremst zurast, schrumpfen das Unbehagen der Pubertät, der gute alte Liebeskummer und die sexuelle Verunsicherung zu lächerlichen Kleinigkeiten zusammen. Was der Klimawandel für eine jüngere Generation und ihren Blick in die Zukunft bedeutet, scheint die Welt der Erwachsenen bis heute kaum zu kümmern. Dabei hat es Greta Thunberg mehrmals deutlich ausgesprochen, klar gemacht, dass jedes Zögern im Heute die zukünftigen Lebensbedingungen aller Kinder zerstört.

Der formal spielerische und gleichzeitig erschütternd traurige Film Sister, What Grows Where Land Is Sick? ist der Versuch, den Fokus auf das Erleben eben dieser betroffenen Jugend zu legen, den Zukunftsschwund in Bilder zu übersetzen. Alles beginnt mit einem Geständnis: Ein junges Mädchen (Keira LaHart) offenbart uns, dass sie heimlich das Tagebuch ihrer älteren Schwester (Ruby Dagnall) lesen würde. Was uns als Vertrauensbruch erscheint, ist im Grunde ein Hilfeschrei: Da will jemand verstehen, was mit der Schwester los ist, die sich zunehmend seltsamer verhält.

Das wären wüste Auseinandersetzungen mit den Eltern, gefolgt von Nervenzusammenbrüchen, manischen Liebesnächten mit zwei Liebhabern und mehrere Nächte in Folge ohne Schlaf; der psychische Zustand verschlechtert sich dramatisch bis zur Selbstverletzung. Die vorgelesenen Einträge aus dem Tagebuch rücken alles in ein anderes Licht, helfen der Jüngeren das Verhalten ihrer Schwester einzuordnen. In diesem von kreativen Collagen durchzogenen Buch finden sich poetische Klagen einer tiefen Verzweiflung: Wieso tut niemand etwas, wenn wir doch alle wissen, dass es der Erde schlecht geht? Da ist jemand allein mit seinem Leben, das mit einem Aufwachsen ohne Zukunft droht. Zu viel sind all die Ungerechtigkeiten: Die kranke Welt dringt in die Seele ein.

Die jüngere Schwester versteht und geht doch ganz anders mit den Dingen um. Ohne etwas dagegen tun zu können, muss sie jedoch mitansehen, wie sich ein zerstörerischer Abgrund inmitten ihrer Familie und im Herzen ihrer Schwester auftut. Franciska Eliassen inszeniert dies mit großer Sensibilität, webt ihren Film aus geschwisterlichen Episoden, die immer wieder von metaphorisch-atmosphärischen Tableaus durchzogen sind, bei denen nie ganz klar ist, ob sie nun Utopie oder Alptraum darstellen. Wir werden mit der überbordenden Vorstellungskraft eines jungen Menschen konfrontiert, der mit seiner Verzweiflung alleingelassen wird und dennoch unablässig nach Wegen sucht, sich mitzuteilen. Aber wie soll man gegen den Weltuntergang überhaupt rebellieren? Diese Frage pocht aus allen Winkeln dieses berührenden Films.  

Es gibt diese böse Wendung, dass die Menschen sich eher das Ende der Welt vorstellen können als das Ende des Kapitalismus. Wenn aber nun die Vorstellungskraft selbst für den Weltuntergang nicht mehr ausreicht? Was ist dann? Sister, What Grows Where Land Is Sick? erkundet mögliche Bilder eines alternativen ökofeministischen Weltbezugs, der nicht einfach ursprünglich ist, sondern ästhetischer Natur sein muss.

Dies geschieht im Rahmen einer Coming-of-Age-Geschichte, die sich gegen die eigenen banalen Sorgen wehrt, sie aufbäumt und aus dem bloßen Fortgang des Erwachsenwerdens ausbricht. In einer der faszinierendsten Szenen des Films durchstreifen wir das Zimmer der älteren Schwester. Die Kamera fährt die Wandcollage aus Bildern ab und webt auf der Tonspur einen akustischen Raum, erweckt diese Vorstellungswelt eines Teenagers unserer Zeit in einem Rauschen aus dringlichen Tönen zum Leben. Eliassen gelingt der sinnlich-präzise Ausdruck einer schwindenden Welt, die hier um Hilfe schreit. Ein Gefühl, das wir kaum abschütteln können, selbst als die Bilder auf der Leinwand schon lange erloschen sind.

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