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Viele junge Menschen träumen davon, Influencer*innen zu werden. Joya Thome stellt in ihrem Dokumentarfilm die amerikanische Turnerin und Youtuberin Whitney vor – und ein Mädchen aus Deutschland, das zu ihrer Fangemeinde zählt.

One in a Million (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Im Schatten des Social-Media-Ruhms

Whitney Bjerken stößt einen Jubelschrei aus, als die Zahl der Abonnent*innen ihres YouTube-Kanals die Grenze zur ersten Million überschreitet. Ihr Papa filmt auch diesen Moment im Familienhaus in Georgia, USA. So kann Yara in ihrem Zimmer in Neumünster, Deutschland zuschauen. Der Dokumentarfilm von Joya Thome begleitet die beiden Mädchen über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren. Wie lebt es sich so als Social-Media-Star und als passionierte Followerin? Ist die private Whitney auch so stark und positiv gestimmt wie das Mädchen in den Videos, das eine Million andere Jugendliche auf der Welt inspirieren will, ihre Ziele zu verfolgen und an sich zu glauben? Und was hat Yara davon, im Schatten Whitneys zu stehen und ihre eigene Whitney-Fanpage zu pflegen?

Das Phänomen jugendlicher Social-Media-Influencer*innen und ihrer Fangemeinden kennen Angehörige älterer Generationen nicht aus eigener Erfahrung. Die deutsche Regisseurin Joya Thome hat bereits mit ihrem herrlichen sommerlichen Kinderspielfilm Königin von Niendorf bewiesen, dass sie sich gut in die Erlebniswelt junger Menschen hineinversetzen kann. Als Dokumentarfilmerin gelingt es ihr nun, das Vertrauen ihrer beiden Protagonistinnen Whitney und Yara zu gewinnen. Mit der Zeit öffnen sich die Heranwachsenden immer mehr, teilen ihre Fragen an das Leben und ihren Aufruhr der Gefühle mit. In Sujet und Aufbau ähnelt der Film der Dokumentation Girl Gang von Susanne Regina Meures aus dem Jahr 2022. Auch darin ging es um eine jugendliche Influencerin und einen Fan im Mädchenalter. Bei One in a Million kommt allerdings noch das Thema des Leistungssports hinzu, denn Whitney befasst sich in ihren Videos nicht mit Mode und Styling, sondern vor allem mit ihrem Training und ihren Wettkämpfen als Turnerin bei Georgia Elite Gymnastics.

Mit sechs Jahren fing Whitney mit dem Turnen an, wie sie in Voice-Overs erzählt, und ein Jahr später stellte Papa die ersten Videos ihrer Wettkämpfe für Verwandte auf YouTube. Als er entdeckte, dass ein Video sehr viele Aufrufe bekam, entstand die Idee, den Social-Media-Auftritt auszubauen und auch mit Videos aus Whitneys Alltag zu bestücken. Damit verdient die Familie Geld, das Whitney für ihren Leistungssport braucht. Sie möchte es ins Nationalteam schaffen. In Thomes Film kommt die ganze Härte des Trainings zum Vorschein, die stundenlangen Kraftanstrengungen, die Stürze, die Operationen. Die stets freundliche Whitney erweist sich nicht nur als zielstrebig, sondern auch als bescheiden. Starallüren scheinen ihr fremd zu sein. Der Film beobachtet, wie sich dieses scheinbar perfekte Mädchen zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr allmählich emanzipiert. Das ist ein schmerzhafter Prozess, denn Whitney entdeckt ihre nachdenkliche, melancholische Seite und ihre Sehnsucht, sich aus ihrem öffentlichen Image herauszuschälen und auch ein Privatmensch zu werden. 

Whitney beginnt, Lieder zu komponieren und zur Gitarre zu singen. Darin ist die Rede von der Angst, zu verschwinden, vom inneren Selbst und vom Auf und Ab des Lebens – Whitney hat einen Ausdruck für all das gefunden, was in Papas Videos ausgespart blieb. Yara entspricht zunächst dem Klischee eines unsicheren Fans, der ein Schattendasein führt und sich stark mit dem Idol identifiziert. Sie erzählt von ihrer Schüchternheit und einer heimlichen Liebe, doch gewinnt mit der Zeit an Selbstvertrauen. Mit Whitney verbindet sie das Turnen, wobei Yaras sportliches Engagement im Verein Die Roten Hosen Showakrobatik in Neumünster eher Hobbycharakter hat. Whitney hofft unter anderem auf ein College-Stipendium als Wettkampf-Turnerin. Yara wird wie ihr Idol auch im Familienkreis porträtiert – allerdings ohne dass die Familienbeziehungen in den flüchtigen Aufnahmen deutliche Konturen gewinnen. 

Konflikte mit den Eltern werden weitgehend ausgespart oder nur sanft gestreift, als Belege für den notwendigen pubertären Abnabelungsprozess. Anders als in Girl Gang ist auch nicht von den Hasskommentaren die Rede, die der Internetruhm mit sich bringen kann. Ob Whitney so etwas nicht erlebt oder nur nicht darüber sprechen will, bleibt offen. Die einfühlsame Beobachtung Thomes fördert jedoch eine wichtige Erkenntnis zutage: Während das Idol und sein Fan zu jungen Frauen heranreifen, entzaubern sie die Rollenbilder ihrer Mädchenzeit. Mit 16 Jahren haben sie neue Interessen entwickelt, auch jenseits von Kamera und Bildschirm. 

One in a Million (2022)

Der Dokumentarfilm erzählt die Geschichte zweier Teenager-Mädchen auf verschiedenen Kontinenten, die durch ihre Bildschirme und ihre Leidenschaft für das Turnen verbunden sind — Whitney Bjerken aus Georgia/USA ist eine weltberühmte YouTuberin, Yara aus dem norddeutschen Neumünster ist eine ihrer größten Fans. Während sie durch die glitzernde Welt der sozialen Medien navigieren, beginnen sie herauszufinden, wer sie sind und was sie im Leben wollen. (Quelle: KinderFIlmFest Münster)

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