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Während ihre Mitmenschen ständig auf ihre Unterstützung zählen, hat Annika eigene Träume. Während die von Flachbildschirmen träumen, träumt sie von einer Meerjungenfrauenflosse. Diesen Konflikt stellt Franziska Pflaums Langfilmdebüt auf ebenso witzige wie tiefgründige Weise dar.

Mermaids Don't Cry (2022)

Eine Filmkritik von Bianca Jasmina Rauch

Meerjungfrauen setzen sich besser durch

Annika (Stefanie Reinsperger) hat eine Leidenschaft: Nach ihrem Dienst im Supermarkt radelt sie immer zum Hallenbad, um ein paar Runden mit ihrer Meerjungfrauenflosse aus Textil zu drehen. In ihren Träumen schwimmt sie aber in einem weit hochwertigeren Exemplar aus Silikon – mit speziell gefertigten Schuppen und individueller Passform – durch die Weiten des Ozeans. Um den Kaufpreis von 2.458,90 Euro aufbringen zu können, muss sie aber erst sparen – was umso schwerer wird, als sie um ihren Job bangen muss. Die Chefin der Filiale (Inga Busch) ist zu Rationalisierungsmaßnahmen angehalten und Annika steht ganz oben auf der Liste der Wackelkandidat*innen.

Mit Mermaids don’t cry liefert Franziska Pflaum ihr Langfilmdebüt in Form einer schillernden Komödie ab, was eher eine Seltenheit innerhalb der zu Dramen neigenden österreichischen Filmlandschaft darstellt. In Co-Autorinnenschaft mit Christiane Kalss (u.a. Co-Autorin der Serie Wir Kinder vom Bahnhof Zoo) kreiert Pflaum Charaktere, die als komödiantische Archetypen erkennbar werden, ohne stereotyp zu sein. Beachtlichen Anteil daran hat natürlich der Cast, unter dem sich auch Julia Franz Richter als Annikas beste Freundin, Kollegin und Nachbarin Karo befindet. Die zweifache Mutter, beliebte Angestellte und wichtigste Bezugsperson der Protagonistin stolpert in Sachen Liebe und Dating von einer Enttäuschung zur nächsten. Wenn ein Rendezvous ansteht, liefert sie ihre Kinder gern ungefragt bei Annika ab. Zu allem Überdruss sieht Annika sich außerdem noch gezwungen, ihren Vater (Karl Fischer), der behauptet, eine Behinderung zu haben und sich nur mehr im Rollstuhl fortbewegt, zu beherbergen.

Annikas Furcht um eine Entlassung steht auf den ersten Blick in direktem Gegensatz zu ihrer dringenden Mission, genügend Geld für eine neue Flosse aufzutreiben. Ihr Festhalten an dieser Mission unterstreicht aber ihren starken Willen, der sie von ihren Mitmenschen eindeutig unterscheidet. Dass ihr Vater und ihre Liebschaft (Marc aus dem Hallenbad) ihr Erspartes lieber in einen riesigen Fernsehbildschirm investieren wollen, erscheint im Vergleich deutlich weniger sinnstiftend. Annika ist mit ihrem bunten Outfits und ihrem Traum vom Meerjungfrauen-Dasein eine Figur mit verspielter Individualität. Im Gegensatz zu Arielle oder Meerjungfrauen küssen besser dominiert in diesem Film die Suche nach einem Mann nicht das Leben der Protagonistin. Mehr Raum nimmt vielmehr Annikas Befreiung davon ein, stets den Bedürfnissen der anderen gerecht zu werden.

Satirische Züge haben die brillanten Darbietungen von Inga Busch, die die Filialleiterin spielt, und Gerti Drassl, die als Kollegin von Annika und Karo ebenso um ihren Posten bangt. Die Chefin predigt Schicksalsergebenheit und vertröstet ihre Mitarbeiter*innen damit, dass die Entlassung ihnen sicher neue und viel bessere Wege eröffne. Auch macht sie keinen Hehl daraus, einzelne Angestellte auf Grund persönlichen Sympathien zu bevorzugen. Am Ende verlieren aber temporäre Rivalitäten zwischen Kolleg*innen an Gewicht und die persiflierte Dynamik am Arbeitsplatz entpuppt sich als eine der interessantesten Szenerien des Films. Hier entsteht auf einmal ein familiäres Miteinander, das irgendwo zwischen Absurdität und einer erstrebenswerten, ehrlichen Form von Kommunikation einzuordnen ist.

Da Komödienfiguren stets realgesellschaftliche Referenzen oder indirekte Kommentare auf existente Verhältnisse in sich tragen, muss man fragen, was die vorgetäuschte und im Laufe des Films amtlich bestätigte Behinderung des Vaters den Zuschauenden sagen soll. Auch eine Szene, die sich über das Körpergewicht von Annika lustig macht, muss kritisiert werden – gerade deshalb, weil eine Figur wie Annika leider nicht davor sicher ist, in Hinblick auf ihren Körper interpretiert zu werden obwohl der für die Erzählung keine explizite Rolle spielt. Dies bewies leider auch das Filmgespräch nach der Premiere während der Diagonale. Der Umgang mit Körpern im Film stellt letztlich ein nicht zu unterschätzendes Politikum dar. Ein Verzicht aufs Kommentieren des Körpers seiner Hauptfigur hätte Mermaids don’t cry ebenso wie seinem Publikum gut getan.

Mermaids Don't Cry (2022)

Annika, Supermarktverkäuferin, träumt von der perfekten Meerjungfrauenflosse. Sie würde Glanz in ihre chaotische Welt bringen, in der ihr Vater wieder bei ihr einzieht, ihre Freundin ihre Kinder bei ihr abstellt und ihr potentieller Liebhaber nicht mehr geht, weil er obdachlos ist. Im Supermarkt soll auch eingespart werden und die schamanisch ausgebildete Filialleiterin sucht Kündigungspotential. Aber alles egal: Annika braucht die Flosse und die kostet 2.458,- Euro.

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