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Dominik Moll präsentiert einen stimmungsvollen Kriminalfilm, der über die Beziehung zwischen Männern und Frauen reflektiert. Dabei hat er vielseitige Figuren entwickelt, die einen nicht kalt lassen.

In der Nacht des 12. (2022)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Ein Fall wie viele

Der französisch-deutsche Regisseur Dominik Moll, der Schöpfer von beklemmenden Kriminalfilmen wie „Harry meint es gut mit dir“, „Lemming“ oder kürzlich „Die Verschwundene“, verbindet auch in seinem neuesten Werk Sozialkritik mit einfühlsamem Figurenpsychogramm und Spannung. Auch hier liegt die Stärke des Films in der genauen Beobachtung, der präzisen, wenn auch sparsamen eingesetzten Sprache und einem herausragenden Schauspielensemble.

Die Geschichte an sich ist einfach und linear. In Frankreich würden 20 Prozent aller Mordfälle nicht aufgeklärt, steht im Vorspann des Films. Um einen solchen Fall geht es in La nuit du 12. Eine junge Frau wird in einer Nacht von einem Vermummten mit Benzin übergossen und angezündet. Die Einheit des frischgebackenen Polizeichefs Yohan (Bastien Bouillon) der Kriminalpolizei wird für die Klärung eingeteilt. Yohann steht unter hohem Druck, weil er seinem pensionierten Vorgänger folgt, und natürlich alles richtig machen will. Doch die Ermittlungen kommen nur langsam voran. Einzelne Spuren tauchen in Form ehemaliger Liebhaber des Opfers auf.

Bald kommt deswegen eine Diskussion über traditionelle Geschlechterrollenmuster auf. Es ist sichtbar, wie es in Yohan, aber auch in seinem etwas älteren Kollegen Marceaux (Bouli Lanners) arbeitet. Sie sind gefordert, ihre Wertevorstellungen zu hinterfragen und zu revidieren. Einmal sagt eine der weiblichen Figuren, schon fast am Schluss des Films, dass es Männer seien, die Frauen ermorden, es aber dann auch Männer seien, die über diese ersten Männer richten würden. Eine Männerwelt also. Aber eine Welt, in der der Einzelne einen Unterschied machen kann, das sagt Molls Film.

Dies funktioniert durch einen respektvollen Umgang miteinander, durch Hartnäckigkeit und Anteilnahme. Sowohl Yohan als auch Marceaux stoßen dabei an ihre Grenzen. Jeder von ihnen reagiert auf den Druck jedoch anders. Yohan hält an seinen Regeln fest und findet im Velodrom sein Ventil, Marceaux platzt stattdessen wortwörtlich der Kragen. Auf ihre Art sind beide Typen wichtig.

In der Zeichnung der beiden Polizisten fällt auf, dass das Drehbuch auf gestelzte oder mit Pathos aufgeladene Dialoge verzichtet. Stattdessen hat man das Gefühl, so könnten sich tatsächlich normale Menschen unterhalten – in Bezug auf die Wortwahl, aber auch was die Reaktionszeit und damit die Leerstellen betrifft. Marceaux schüttet Yohan an einer Stelle sein Herz aus. Seine Frau wolle sich scheiden lassen, weil sie von einem anderen schwanger sei. Yohan entgegnet mit einem stummen, aber dennoch mitfühlenden Blick, was völlig ausreichend ist.

Moll erzählt seinen Krimi, ohne auf die gängigen Erzählmittel des Genres zurückzugreifen. Das zeigt sich beispielsweise in der diskreten Verwendung der Musik, aber auch darin, dass die Ermittler nicht etwa selbst in den Fall verwickelt oder völlig kaputt sind. Sie sind keine Alkoholiker, Drogensüchtige, offene Rassisten oder Ähnliches. So sehr sich der Film über die Bürokratisierung dieser Arbeit mokiert, so sympathisch und empathisch sind die Beamten dargestellt.

Sie sind schon fast selbst eine Art von Opfer. Sie versinken in Berichten und Protokollen, die sie verfassen müssen. Für die eigentliche Feldarbeit bleibt nur wenig Zeit. Wenn dann auch noch der Kopierer oder Drucker streikt, was in La nuit du 12 auf sehr elegante Weise zu einem sich wiederholenden Sinnbild wird, verlieren sie sich erst recht im Papierkram.

Inspirieren lassen hat sich Moll vom Buch der Französin Pauline Guéna, die ihre Erlebnisse aus einem Jahr Recherchearbeit bei der Kriminalpolizei aufgeschrieben hat. Der Fall im Zentrum des Films wird, neben einigen anderen, darin erwähnt. Ergänzt hat Moll die Vorlage durch eigene Beobachtungen innerhalb des Polizeikorps, wie er im persönlichen Gespräch erwähnte. Für ihn sei es wichtig gewesen, die Kameradschaft, die er erlebt hatte, widerzuspiegeln. Die Darstellung von Polizisten als korrupt oder sadistisch sei ihm zu einfach, weswegen er hier bewusst entgegensteuern wollte.

La nuit du 12 hat als Schauplatz die Bergkulisse der Region um Grenoble. Die visuelle Enge unterstützt das Gefühl des Gefangenseins im eigenen Gedanken- und Wertekonstrukt, unterstützt aber auch gleichzeitig die Hilflosigkeit und die Frustration, die die Beamten in diesem Fall verspüren. Trotz aller Ernsthaftigkeit des Stoffes kommt es immer wieder zu humorvollen Momenten, vor allem zwischen Yohan und Marceaux, wenn sie beispielsweise über das Pinkeln im Sitzen sprechen. Trocken und mit einem feinen Sinn für Rhythmus verkörpern Bouillon und Lanners ihre Rollen.

Moll hat einen Film noir geschaffen, der über zwei Stunden hinweg problemlos mit einer dichten Inszenierung, die nie aufgeregt oder reisserisch ist, die Spannung hält. Das zeigt sich unter anderem daran, dass man trotz der Aufklärung über den wenig erfolgsversprechenden Ausgang des Falls diese Information irgendwann vergisst, mitfiebert und eben doch noch auf eine versöhnlichen Auflösung hofft.

In der Nacht des 12. (2022)

Man sagt, dass jede/r Ermittler*in einen Fall hat, der ihn oder sie verfolgt und der schmerzt, ohne dass man genau wüsste, warum eigentlich. Im Falle von Yohan ist das der Fall von Clara.

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Meinungen

Roxy · 25.05.2022

Ich würde den Film gerne sehen :)
Wird er auch in Deutschland in den Kinos zusehe sein?

LG