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In der Netflix-Serie „Into the Night“ fliegt eine Gruppe letzter Überlebender notgedrungen zusammen in Richtung Westen, um Schutz vor der Sonne zu suchen, die schon fast alles um sie herum abgetötet hat. Schon bald zweifelt jeder sich selbst und sein Umfeld an, ohne zu wissen, wohin die Reise sie wirklich führen wird…

Into the Night (TV-Serie, 2020)

Eine Filmkritik von Elisabeth Hergt

Gefangene der Nacht

Kann jeder neue Tag das Ende der Menschheit bedeuten oder sind dabei noch andere Kräfte am Werk? Im ersten belgischen Netflix-Original „Into the Night“ müssen sich entführte Flugzeugpassagiere gegen ihren Hijacker wehren und gleichzeitig vor der Sonne fliehen, die ihnen unaufhaltsam folgt und droht auch sie auszulöschen. Ein postapokalyptisch anmutendes Szenario über den Wolken, dem leider zu schnell die Luft ausgeht.

Der italienische NATO-Offizier Terenzio (Stefano Cassetti) stürmt abrupt ein Flugzeug und nimmt die halbe Besatzung, sowie alle schon zugestiegenen Fluggäste gefangen. Eigentlich wollten sich diese gerade auf den Weg von Brüssel nach Moskau machen. Verzweifelt behauptet der Mann, dass die Sonne alles umbringt, was sich ihr aussetzt und ihnen nur wenig Zeit zur Flucht bleibt. Er zwingt die Crew mit Gewalt zum Abflug gen Westen, um den tödlichen Strahlen zumindest vorerst einen Schritt voraus zu sein. Es scheint schon bald kein Zweifel mehr an seinen Aussagen zu bestehen, aber die Radikalität seiner Vorgehensweise führt zu Widerstand und zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten. Zu den zentralen Personen gehören dabei Sylvie (Pauline Etienne), die um ihren toten Mann trauert und eigentlich nicht mehr leben will, der Ingenieur Jakub (Ksawery Szenkier), Ko-Pilot Mathieu (Laurent Capelluto), Ayaz (Mehmet Kurtulus), sowie ein dubioser Geschäftsmann, der gutgläubige Rik (Jan Bijvoet) und der leicht reizbare Offizier Terenzio, der unberechenbar bleibt. Nach ihnen sind die 6 Folgen dieser ersten Staffel auch benannt. In Rückblenden erfährt man jeweils in Ansätzen mehr über ihre persönlichen Schicksale und den ursprünglichen Grund ihres Reiseantritts.

Weiterhin an Bord sind außerdem die Krankenschwester Laura (Babetida Sadjo), die junge Influencerin Ines (Alba Gaïa Bellugi), Osman (Nabil Mallat), weiterhin ein Mitarbeiter der Fluggesellschaft, zwei schroffe Typen namens Horst (Vincent Londez) und Nabil (Yassine Fadel), sowie Mutter Zara (Regina Bikkinina) mit ihrem kranken Sohn Dominik. Der Flug gestaltet sich erwartungsgemäß schwierig. Mathieu wurde schon zu Beginn durch einen Schuss von Terenzio verwundet und so muss Sylvia ihm spontan assistieren, während der Rest der Truppe versucht, eine gemeinsame Strategie zu erarbeiten. Es soll einen geheimen Bunker geben, der Zuflucht bietet, aber ohne zusätzlichen Treibstoff werden sie es nicht schaffen können. Und dann ist da noch diese lähmende Gewissheit, dass es nur noch sie gibt und ihre Liebsten wohl schon längst nicht mehr am Leben sind.

Der Weltuntergang in Filmen und Serien wurde bereits verschiedentlich interpretiert (The Rain, The Walking Dead, The Leftovers etc.); der aktuelle Ausnahmezustand durch COVID-19 verleiht diesen derzeit entweder einen fast dokumentarischen Stellenwert oder die Dystopien wirken nicht mehr nur als exemplarische Bedrohung, die mitunter zusätzlich noch in ferne Zukunftswelten versetzt wurde. Sondern sie ist viel konkreter zu fassen. Dementsprechend kann jetzt jedes Planspiel, neben Zombies und nuklearen Ausbrüchen, auf noch viel natürlichere, schleichende Art und Weise unsere Panik beflügeln. Warum sollte also, auf Grundlage dessen, nicht auch schon der erste Lichteinfall als Waffe auf uns gerichtet sein?

Die Handlung lebt vom Setting und der Stimmung. Den eigenen Realitätsanspruch sollte man deshalb hier nicht zu eng fassen, denn vieles ergibt im Verlauf nur bedingt Sinn. Sylvie war mal Helikopterpilotin bei der Armee, also steuert sie natürlich auch die riesige Airbus-Maschine mal eben souveräner durch die Gegend als Keanu Reeves seiner Zeit den Linienbus 2525 in Speed. Und auch Bruce Willis könnte als John McClane mit seiner Manpower nur halb so eloquent mithalten, wenn auch glaubhaft selbstironischer. Jakub hingegen hat für jedes technische Problem umgehend Lösungen parat und für Krankenschwester Laura ist eine improvisierte Notoperation nicht so dramatisch, wie man vermuten würde. Ansonsten wird sehr viel verhandelt und gestritten. Zwar entstehen zarte Bande, aber man misstraut einander auch und so dauert es nicht lange bis sich alle in gewisser Hinsicht selbst sabotieren.

Die Adaption, entwickelt von Jason George (Narcos, Scandal) nach dem Roman Starość aksolotla (The Old Axolotl) von Jacek Dukaj, schrammt durch den kammerspielartigen Aufbau und die düstere Endzeit-Vision qualitativ gerade noch so am Trash vorbei und verliert sich glücklicherweise nicht in wilden Theorien und reißerischer Action. Dabei wird dann, trotz mangelnder Logik und eindimensionalen Figuren, am Ende sogar Raum für mehr geschaffen, durch eine Wendung des Geschehens, die alle verbleibenden Protagonist*innen wiederum vor völlig neue Herausforderungen stellt und eine zweite Staffel begünstigt.

Insgesamt aber mangelt es Into the Night an Tiefgang und anhaltender Spannung, wie auch einer Art Grundangst um die Charaktere, die sich beim Zuschauen einfach nicht einstellt. Das Ausmaß der Katastrophe wirkt fern und die Sonne als Feind kommt einem nicht spürbar nah genug. Vielmehr verbrennt sich die Serie am eigenen Konzept der Abschottung und erschöpft sich in endlosen Diskussionen und Machtkämpfen. Das ist alles weder besonders gut noch schlecht. Ein kurzweiliger Trip, mit subtilem Nervenkitzel, wenn auch ohne Punktlandung.  

Into the Night (TV-Serie, 2020)

Passagiere und Besatzung eines entführten Fliegers müssen den Tag-Nacht-Zyklus überlisten. Ein rätselhaftes kosmisches Ereignis stürzt die Welt unter ihnen ins Chaos.

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