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„Hallelujah“ ging und geht als Song um die Welt. Aber nur wenige wissen um seine kuriose Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte. Regiepaar Daniel Geller und Dayna Goldfine klären darüber auf– und liefern ein einfühlsames Porträt seines Schöpfers gleich mit.

Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song (2021)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Der etwas andere Popstar

Kann man einen abendfüllenden Film über einen einzigen Song drehen? Im Prinzip ja. Reizvoller aber ist es, wenn man auch den Schöpfer des Liedes porträtiert. Und noch spannender wird es, wenn es sich um Hallelujah von Leonard Cohen handelt: einen poetischen, voller Rätsel steckenden Text, der sich gegen jede letztgültige Interpretation sperrt und gerade deshalb so viele nachfolgende Musiker herausgefordert hat, mit ihren Cover-Versionen etwas ganz Eigenes, höchst Persönliches zu schaffen. Es ist kein Zufall, dass der Dichter und Sänger, als er Hallelujah drei Jahre vor seinem Tod das letzte Mal auf einer Bühne vortrug, gleich bei den ersten Takten demütig auf die Knie sank. Die Szene gehört zu den vielen Perlen, die das Regiepaar Dan Geller und Dayna Goldfine in seinem Doppelporträt eines Songs und seines Schöpfers aufgereiht hat.

 
 

Hallelujah klingt es von allen Seiten: Die Montage vereint die Sängerin im U-Bahnhof mit dem Geige spielenden Mädchen, sie schneidet von singenden Menschenmengen zur Braut vor dem Altar, ganz zu schweigen von den vielen Talentwettbewerben auf der ganzen Welt. Überall wird mit Inbrunst und Freude Hallelujah gesungen, was im religiösen Kontext ja ein frohlockendes „Lobet den Herrn“ bedeutet. Es scheint, als bringe der Song Menschen aus allen Kontinenten zusammen, junge und alte, Männer und Frauen, Gläubige und Atheisten. Das kitzelt die Gänsehaut.

Das Kribbeln hat nicht zuletzt mit früheren Sequenzen zu tun, in denen das Publikum etwas kaum zu glaubendes erfährt: Der Boss der Plattenfirma Columbia hatte das Cohen-Album Various Positions, auf dem der Song 1984 zum ersten Mal zu hören war, komplett niedergemacht. Er weigerte sich, die Platte auf den US-Markt zu bringen, obwohl das Label dadurch viel Geld verlor. Hallelujah verschwand in der Versenkung, Cohen schien tot zu sein für das Musikbusiness. Auf welchen Umwegen der Song dann doch unter die Leute kam – davon handelt der eine Erzählstrang des Films. Er ist voller Kuriositäten und Überraschungen, die bisher wohl nur Insider kannten.

Zuvor, zum Teil aber auch gleichzeitig widmen sich die Filmemacher der Person und der Karriere des Sängers, der mit 30 noch keine Noten lesen konnte und vielen Beobachtern ziemlich schräg vorkam. Cohens Wurzeln liegen im Schreiben. Der Kanadier (*1934, +2016) begann als Lyriker und Romancier, bevor seine Gedichte dazu drängten, gesungen zu werden. Auch als Songschreiber legt er äußersten Wert auf die perfekte Kombination der Worte, ringt damit länger als andere. An Hallelujah zum Beispiel schrieb er sieben Jahre, es soll angeblich um die 150 Strophen gegeben haben. Trotzdem hatte Cohen nicht das Gefühl, damit fertig zu sein. Er veränderte den Song bei Live-Auftritten immer wieder.

Denn das Lied, eine Mischung aus religiösen und weltlichen Motiven, drückt Cohens grundlegendes Lebensgefühl aus: eine tiefe Zerrissenheit. Einerseits fühlt sich das Leben für ihn wie ein vorweggenommenes Fegefeuer an, andererseits preist er die Schönheit der irdischen Existenz, indem er nach etwas Heilendem sucht, das größer ist als das einzelne Individuum, sei es die Liebe oder die Spiritualität. Das hängt womöglich mit den Depressionen zusammen, unter denen er lange litt. Ganz sicher aber hat es mit der Erfahrung der Inspiration zu tun, die die meisten Künstler teilen: Über den Moment, in dem etwas glückt, hat man keine Kontrolle. Es ist, als stünde eine Göttin im Raum, die irgendwann wieder verschwindet.

Man kann es erstaunlich finden, wie tief die Regisseur:Innen Daniel Geller und Dayna Goldfine in Cohens Innerstes vordringen. Und das, obwohl sie nicht persönlich mit ihm sprechen konnten, weil er 2014, als die Arbeiten an dem Film begannen, aus Altersgründen keine Interviews mehr gab. Nur mit seinen Weggefährtinnen und Weggefährten führten die Filmemacher aktuelle Gespräche. Cohens Äußerungen stammen aus älteren Aufnahmen, nicht nur aus veröffentlichtem, sondern auch aus bislang unzugänglichem Material. Trotzdem arbeitet sich das Regiepaar durch die unermesslichen Archivberge, mit einer Art kongenialem Sensor. Es ist, als hätten Cohens Leben, seine Gedanken und seine Lieder einen Akkord zum Klingen gebracht, den Daniel Geller und Dayna Goldfine in ihrem Inneren nachklingen lassen.

Es gibt eine ganze Menge Filme über Leonard Cohen. Der erste erschien bereits 1965, der bislang jüngste 2019 (Marianne und Leonard von Nick Broomfield). Aber keiner hat versucht, Cohens Person, sein inneres Ringen und seine Spiritualität aus dem Licht seines vielleicht wichtigsten Songs zu entfalten. Das lässt trotz der Materialfülle Raum für Humor und es enthält bei aller Intimität auch die Chance, Cohen von außen zu betrachten. Wie schauen andere Musiker auf sein Werk? Was davon covern sie, was kürzen sie weg? Wovon fühlt sich auch die ganz junge Generation von Singer-Songwritern noch angezogen, was lässt sie kalt? Nicht zuletzt ist Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song dadurch auch ein Musikfilm, der sich keineswegs nur auf dieses eine Lied beschränkt. Der Abspann ist voll von anderen Titeln. Und das ist – bei aller Verbeugung vor dem Lob des Herrn – auch gut so.

 

Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song (2021)

Leonard Cohens Song „Hallelujah“ gehört zu seinen schönsten Werken und zu jenen, die am häufigsten gecovert wurden. Dieser Film erzählt durch den Song die Geschichte von Cohens späten Lebens- und Schaffensjahren. 

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