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Der Dokumentarfilm „Framing Britney Spears“ erzählt die Geschichte des Popstars und stellt das System der Boulevardpresse an den Pranger.

Framing Britney Spears (2021)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Vom Aufstieg und Fall der Britney Spears

Wenn eine Zeitung wie die New York Times einen Dokumentarfilm dreht, hat das nicht nur den Vorteil, dass das Filmteam auf Unmengen Archivmaterial zurückgreifen kann. Man ist durch die journalistischen Produktionsabläufe auch nah am Zeitgeschehen.

So ist das zumindest bei „Framing Britney Spears“: Die aktuellsten Szenen wurden im Dezember 2020 vor dem Gerichtsgebäude aufgenommen, in dem der Popstars versuchte, die Vormundschaft durch den Vater Jamie Spears loszuwerden. Die Aufregung der Fans in Instagramvideos und auf pinkfarbenen Spruchbannern vor dem Gericht gibt den Einstieg ins Geschehen. Und da man im Fall Britney Spears über die Jahre schon einmal den Überblick über das Geschehen verlieren kann, begibt sich Regisseurin und New-York-Times-Journalistin Samantha Stark für ihren Film ganz journalistisch dorthin, wo alles seinen Anfang nahm: nach Kentwood, Louisiana, mitten im amerikanischen Bible Belt. Dort wuchs Britney Spears auf, dort trifft das Filmteam Felicia Culotta, ehemalige Freundin und frühere Assistentin des Stars.

Regisseurin Stark rekapituliert die Geschichte des jungen Mädchens mit dem großen Talent, das es zunächst in Disney’s Mickey-Mouse-Club schafft und sich dann zum Popstar hocharbeitet, mehrfach Platin gewinnt, Millionen Dollar einnimmt und dann von der Boulevardpresse systematisch zerstört wird. Nicht nur Culotta kommt ausführlich zu Wort, auch ehemalige Mitarbeiter, Backgroundtänzer, Plattenlabelmanagerinnen, Freunde, Anwälte, Paparazzi sitzen vor der Kamera. Stark versucht aus all den Puzzleteilen ein Bild zusammenzusetzen, das zeigt, was mit dem jungen Mädchen geschehen ist. Sie spart dabei auch nicht jene Skandalszenen aus, die das Image des Popstars zerstörten. Wer in den späten 1990er oder frühen 2000er Jahren seine Pubertät erlebte, wird sich an die Fotos erinnern: Britney, die sich im Friseursalon die Haare abrasiert, Britney, die mit einem Schirm auf das Auto eines Paparazzo einprügelt, Britney, die auf einer Trage festgeschnallt in die Psychiatrie eingewiesen wird. 

Da guter Journalismus jedoch immer auch um Einordnung bemüht ist, zeigt Stark nicht nur was geschah, sie lässt die Zeitzeugen zu Wort kommen, gibt den Musik- und Popexperten der New York Times Raum für ihre Analysen und sie wählt ihr Archivmaterial mit Bedacht, so dass ganz nebenbei zwei Thesen aufgestellt werden: 1. Britney Spears musste seit dem Beginn ihrer Karriere mit Sexismus kämpfen und 2. die Boulevardpresse hat die junge Frau mit Vergnügen zerstört.

Die erste These unterfüttert etwa eine Aufnahme, die die fünfjährige Britney bei einer Talentshow zeigt. Der angegraute Moderator fragt sie, ob sie denn einen Freund habe, worauf sie noch unschuldig mit: „Nee, Jungs sind gemein“ antwortet. Daraufhin wirft er ihr ein schmieriges: „Ach echt, und was ist mit mir?“ zu. Der Blick des Mädchens zeigt Überforderung und ein wenig Panik, sich in dieser Situation mit den Erwachsenen nun richtig verhalten zu müssen. Britneys Mutter betonte später immer wieder in Interviews, dass sie sich die Ausbildung ihrer Tochter vom Mund habe absparen müssen. Auch ein fünfjähriges Kind weiß also schon, unter welchem Druck es hier steht.

Umso überraschender ist es zu sehen, wie professionell Britney bereits als junge Frau mit solchen Fragen umgeht. Seit sie im Video zu „Hit me Baby one more time“ in Schulmädchenuniform durch Highschoolflure tanzte, ist sie von der Presse auf das Image der sexy Lolita festgelegt, muss sich immer wieder Fragen zu ihrer Jungfräulichkeit gefallen lassen und steckt alle mit einem festen Lächeln weg. Sie hat die Kontrolle über ihr Image, sie spielt das Spiel der Medien mit und noch lieben die sie, feiern sie und werden dabei immer begehrlicher. Erhellend ist hier ein kurzer Seitenblick, der den Aufstieg ihrer ersten Hitsingle in jene Zeit verortet, in der gerade Bill Clintons Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky bekannt wurde. Oder, wie es einer der New-York-Times-Redakteure einordnet: „Es war ein höchst aufgeladener Moment, das ganze Land sprach nur noch über Sex.“ Kim Kaiman, die Spears bei Jive Records betreute, fügt hinzu: „Es war die Zeit der Boybands, Mädchen waren sonst nicht so erfolgreich. Ich habe in meiner ganzen Zeit nicht eine Boyband gesehen, die so scharf beobachtet wurde.“ 

Und damit geht These eins auch schon in These zwei über: Sobald die Boulevardpresse eine Gelegenheit fand, die perfekt strahlende junge Frau anzugreifen, nahm sie die mit Genuss wahr. Die Gelegenheit kam, wenn man dem Dokumentarfilm folgt, in Gestalt Justin Timberlakes. Das Pop-Paar war zunächst eine Traumverbindung für die Reporter. Als die Trennung bekannt wurde, zeichnete man das Bild der schuldigen Frau. Spears musste Fragen über sich ergehen lassen, was sie denn falsch gemacht habe. Timberlakes Video zum Song Cry Me A River interpretiert ein Popjournalist als „pure männliche Rachevision“. Unbestreitbar ist, es legte das Narrativ von Britneys Untreue nahe und die Klatschpresse suhlte sich darin. Der Film verzichtet darauf, andere Beispiele heranzuziehen, was einfach gewesen wäre, denn die Boulevardpresse wechselt nur zwischen den zwei Frauenbildern: die Heilige oder die Hure. Als Angelina Jolie sich von Brad Pitt scheiden ließ, konnte er mitleidswirksam auf mehreren Doppelseiten Hochglanzpapier Tränen vergießen, während sie als Eiskönigin, die die Ehe zerstörte, gezeichnet wurde. Als Kristen Stewart sich von Schauspielkollege Robert Pattinson trennte, setzte Donald Trump ein dutzend Tweets ab, die die junge Frau angriffen und Verbrüderung mit dem Verlassenen zeigten. In Framing Britney Spears fasst es ein New-York-Times-Journalist mit den Worten zusammen: „Misogynie gehört mit zum Geschäft und es steht ein ganzer Apparat bereit, um eine Frau zu demontieren, sobald sich die Gelegenheit bietet.“ 

Um dem Vorwurf der Einseitigkeit zu entgehen, erhält Daniel Ramos viel Zeit seine Sicht der Dinge darzulegen. Er ist jener Paparazzo, dessen Auto Spears später demolierte. Was als Gegengewicht zu den Pro-Britney-Stimmen gedacht war, geht allerdings nach hinten los. Was Ramos Erzählung aufzeigt, ist das System der Boulevardpresse, das hinter der Zerstörung der jungen Frau steckt. Er spricht von den hohen Summen, die man für ein Bild des Popstars bekommen konnte und erzählt, wie die Presse Jagd auf die junge Frau machte. Ramos nennt es eine Symbiose zwischen Star und Paparazzi: „Wir brauchten einander“.

Natürlich war Spears anfangs nett, lächelte, winkte, spielte das Spiel mit. Es änderte sich, als sie ihr erstes Kind bekam. Sie wollte das Baby vor den Fotografen schützen, die reagierten auf den versuchten Rückzug mit noch mehr Jagd, noch mehr Kameras, noch mehr Blitzlichtgewitter und daraus resultierend noch mehr Skandalbildern, wenn Spears mit dem Kind auf dem Schoß im Auto vor den Verfolgern davon fährt. Was die Szenen mit den Paparazzi und der Rückblick auf die Geschichten, die die Klatschformate daraus machten, aufzeigt, ist eine Gesellschaft, die Privatsphäre nicht achtet, die das „Nein“ einer jungen Frau nicht akzeptiert; einer Gesellschaft, die denkt, sie habe ein Recht darauf, dass diese Frau zur Verfügung steht, sich preisgibt. Niemand, der so in die Enge getrieben wird, reagiert vernünftig. Spears wurde in die Psychiatrie eingeliefert, ihr Vater beantragte die Vormundschaft und bekam sie sowohl für ihre Person, als auch für ihr Vermögen zugesprochen. 

Mit dieser Rückkehr zu den Anfangsbildern schließt der Dokumentarfilm und stellt dabei die Frage, warum diese Frau nach mehr als zehn Jahren noch immer unter Vormundschaft ihres Vaters steht. Er entscheidet über ihre Auftritte, über ihr Vermögen, darüber, wen sie sehen darf. Wenn Spears gesund genug ist, um millionenschwere Tanzshows zu absolvieren, ist sie dann nicht auch gesund genug, um allein über ihr Leben zu entscheiden? 

Während der Abspann aufzeigt, welche Personen sich trotz mehrfachen Anfragen nicht äußern wollten — darunter Spears’ Eltern- denkt man unweigerlich an den Fall Mary Shelley. Auch die Frankenstein-Erfinderin und Mutter des Science-Fiction-Genres musste nach dem Tod ihres Mannes Percy Shelley ihr Vermögen vom Vater ihres Mannes verwalten lassen, der ihr Auszahlungen auch schon mal verweigerte, als ihre Werke schlechte Kritiken bekamen. Der Dokumentarfilm Framing Britney Spears stellt in Frage, wie weit die Unabhängigkeit der Frau von paternalistischen Strukturen in den vergangenen 200 Jahren überhaupt fortgeschritten ist.

Framing Britney Spears (2021)

Der von The New York Times und Left/Right (ein Unternehmen der Red Arrow Studios) produzierte Dokumentarfilm beleuchtet die erfolgreiche Karriere der Pop-Ikone und die Bewegung, die sich gegen ihre gerichtlich angeordnete Vormundschaft wehrt. Der Aufstieg von Britney Spears war ein globales Phänomen, ihr Niedergang ein grausamer Volkssport. Menschen, die Britney Spears nahestehen und mit ihrer Vormundschaft verknüpft sind, bewerten ihre Karriere neu, während sie gegen ihren Vater vor Gericht darum kämpft, die Kontrolle über ihr Leben zurück zu bekommen.

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