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Der Schweizer Dokumentarfilmer Patrick Muroni spürt in „Fierce: A Porn Revolution“ einem ethischen Wandel der Bilder im Porno nach.

Fierce: A Porn Revolution (2022)

Eine Filmkritik von Kai Hornburg

Die große Scham

Welche Rollen- und Körperbilder vermitteln Sexfilme? Welche Vorstellungen von Sexualität und Liebe drücken sich in ihnen aus? Ist der pornografische Blick per se männlich kodiert oder gibt es eine Möglichkeit ihn umzudeuten? Der Schweizer Dokumentarfilmer Patrick Muroni spürt diesen und weiteren Fragestellungen in seinem Langfilmdebüt „Fierce: A Porn Revolution“ nach. Dazu begleitete er eine Gruppe junger Filmemacherinnen aus Lausanne, die es sich zum Ziel gesetzt haben, ethisch vertretbare Pornos zu produzieren, die zugleich authentische Lust darstellen.

Obwohl die meisten Menschen sexuelle Lust empfinden, wird darüber immer noch sehr wenig gesprochen. Noch weniger wird über jene Filme gesprochen, die Sex und sexuelle Lust explizit darstellen. Jeder kann sich vermutlich an die Scham erinnern, die er verspürte, wenn es während eines Filmabends mit den Eltern plötzlich zu einer unerwarteten Sexszene kam.

Noch ausgeprägter zeigt sich diese Scham in der Rezeption von Pornofilmen. Dabei blickt die Pornografie als Filmgenre auf eine lange Tradition zurück, die bis ins frühe 20. Jahrhundert und damit bis zu den Ursprüngen des Mediums an sich zurückreicht. In dieser Tradition geht es vornehmlich um den männlichen Blick auf den weiblichen Körper, woran sich bis heute nur wenig geändert hat: Pornografie ist nach wie vor vornehmlich von Männern für Männer produziert.

Fierce: A Porn Revolution wirft nun einen Blick auf alternative Produktionsarten von Pornografie. Im Zentrum des Filmes, der dokumentarische mit fiktiven Elementen unkenntlich ineinander verwebt, steht das Filmemacherinnen-Kollektiv von Oil Productions, einer Schweizer Produktionsfirma, die queere und authentische Sexfilme produziert.

Authentisch könne die dargestellte Lust im Film nur sein, so erklärt es eine der Filmemacherinnen in einer Szene, wenn beim Dreh ein Safe Space geschaffen wird, in dem sich die Darstellerinnen vor der Kamera angstfrei in ihre Lust fallen lassen können. Dieses Gefühl von echter Lust soll sich dann, im besten Fall, auch auf den Zuschauer übertragen. Der Film begleitet die Protagonistinnen bei den Dreharbeiten, den Vorbereitungen und Live-Performances, aber auch in ihrem Privatleben. Regisseur Muroni verengt den Blick somit nicht auf die bloße Pornofilmproduktion, sondern weist das Thema als ein gesamtgesellschaftliches aus. Es geht also nicht bloß um Porno, sondern immer auch um Begehren in der Gesellschaft.

Wir begleiten die Protagonistinnen etwa bei einer Frauendemo, bei diversen Gelegenheitsjobs oder auch bei Medienauftritten im nationalen Fernsehen und Radio, wo sie sich und ihre Arbeit vorstellen. Doch mehr noch als in diesen öffentlichkeitswirksamen Auftritten, bekommt man in den Gesprächen der Filmemacherinnen untereinander ein gutes Gefühl dafür, wie tabu- und schambesetzt das Thema Pornografie bis heute ist.

So wird zum Beispiel immer wieder deutlich, dass viele Mitglieder des Kollektivs ihren eigenen Eltern gar nicht oder nur vage davon erzählt haben, was sie bei Oil Productions eigentlich produzieren. Vor den kommunikativen Barrieren rund ums Thema Porno sind also auch nicht jene befreit, die diese Barrieren eigentlich aufbrechen wollen. Darin liegt eine angenehme, weil so menschliche Ambivalenz, die auch der Film in seiner Machart widerspiegelt.

Bei den Dreharbeiten verbleibt die Kamera oft in einer Totalen, blendet aber zugleich nicht aus, worum es geht: nackte Körper, die Sex miteinander haben. „Es war eine große Herausforderung, denn mir wurde klar, dass ich bei Pornodrehs die Körper von Frauen oder queeren Menschen filmen muss, die sich selbst sexualisieren, ohne dass ich sie sexualisieren will“, erklärt der Filmemacher Patrick Muroni dazu in einem Interview. Ihm und seinem Team gelingt es mit der gewählten Darstellung durchgehend eine Balance zu halten: zwischen einer ungeschönten, unzensierten Direktheit und einer angemessenen, beobachtenden Distanz, die nie voyeuristisch anmutet, und vor allem Raum für eigene Gedanken lässt.

Fierce: A Porn Revolution (2022)

Die Erfahrung von echter Lust ist nur in einem Safe Space möglich. Ein Raum, der Sicherheit und Freiheit gibt, um das auszuleben, was wirklich gefällt. In der Pornoindustrie kaum vorstellbar – doch ein junges Schweizer Frauen-Kollektiv will genau das: Sexfilme, die authentische Lust zeigen und ethisch vertretbar sind. In Abgrenzung zum Mainstream produzieren sie experimentelle Filme, die Sex und Körper neu definieren. Längst erregen sie damit auch Aufmerksamkeit außerhalb der Queer-Community – Ein Wandel der Erotikwelt?

In der Stadt Lausanne beschließt eine Gruppe junger Frauen und queerer Menschen, Pornofilme zu drehen – und zwar solche, die ihrer eigenen Vorstellung von Erotik und Sexualität entsprechen. Abseits der gängigen, häufig unter zweifelhaften Bedingungen entstandenen Pornografie, vereint sie eine Vision: ethische und lebensnahe Sexfilme zu produzieren, die wahrhaftig Lust machen! Trotz vorherrschender Vorurteile werden Öffentlichkeit und Medien aufmerksam auf das junge Porno-Kollektiv, das den Sprung aus der Nische schaffen will. Der Dokumentarfilm „Fierce: A Porn Revolution“ begleitet die Protagonist*innen zwischen Gelegenheitsjobs, Studium und Porno-Drehs in intimen, vertrauensvollen Settings. Dabei gewähren sie sowohl einen Blick hinter die Kulissen der Dreharbeiten als auch in ihre Gedanken und Zweifel zur eigenen Stellung innerhalb und außerhalb der Pornowelt.

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