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Der rumänisch-deutsche Regisseur hat eine Gruppe von rumänischen Roma über fünf Jahre hinweg begleitet. Er zeigt, wie das Betteln in den Straßen Hamburgs ihre beste Zukunftsperspektive ist.

Europa Passage (2022)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

In den Straßen von Hamburg

Sie pendeln zwischen Rumänien und Deutschland hin- und her. In Hamburg sitzen sie vor Kircheneingängen, Supermärkten oder auf belebten Plätzen und betteln: rumänische Roma wie Maria und Tirloi. In der Regel verbringen sie mehrere Monate auf einmal in Deutschland, während dieser Zeit schlafen sie auf einfachen Matratzen, die sie unter einer Brücke an der Elbe aufrollen. Eine richtige Unterkunft hat kaum einer aus der größeren Gruppe, zu der das Ehepaar gehört, und mehrheitlich aus Nachbarn aus der Heimat besteht. Ohne Meldeadresse gibt es keine Arbeit, ohne Arbeit keine Meldeadresse. Einzelne Stellen als Aushilfen können die Männer dennoch übernehmen, wie im Schlachthof, aber das ist bei ihnen nicht beliebt. Sonst bleibt eben das Betteln, das eben auch als Beruf verstanden werden will – was der Dokumentarfilm eindeutig zeigt.

Andrei Schwartz hat fünf Jahre lang diese Gruppe von Roma begleitet. Daraus ist sein Film mit dem symbolträchtigen Titel Europa Passage entstanden. Die Passage nach Europa ist den Protagonisten zwar physisch geglückt. Ein emotionales Ankommen, allerdings, lässt auf sich warten, ein emotionales Entgegenkommen im übrigen ebenso. Ob Schwartz‘ Film zu letzterem wirklich einen Beitrag leistet, ist nicht sicher. Die Stimmung, die in Europa Passage vorherrscht, ist schwer zu definieren. Es will nicht so richtig gelingen, Empathie für die Personen aufzubringen, die darin porträtiert werden. Das liegt an der Perspektive, die der Film einnimmt und an seiner recht gewagten künstlerischen Form.

Mit der Kamera in der Hand begleitet der Regisseur seine Protagonisten aus nächster Nähe. Er beobachtet aber nicht nur, sondern wird schon fast von Anfang an selbst Teil des Geschehen. Es fehlt dem Film entsprechend an der richtigen Distanz, die eine Kontextualisierung der Umstände erlauben würde. Durch die persönliche Beziehung, die der Regisseur zu den Figuren aufbaut, wird es möglich, einige intime Momente einzufangen. Aber diese wirken nur bedingt auf den Zuschauer. Das lässt sich unter anderem auf den schnellen Schnitt zurückführen. Es wirkt so als habe Schwartz möglichst viel des in den fünf Jahren gesammelten Materials verwenden wollen, doch hätte es dem Endergebnis gut getan, sich von vielen ähnlichen Szenen zu trennen.

Würden die Jahreszahlen ab 2016 nicht extra ins Bild eingeblendet, würde man kaum eine Entwicklung ausmachen können. Dies führt zu gewissen Längen und Wiederholungen. Dass genau das auch auf das Thema bezogen, nicht ganz unpassend ist, stimmt, da die Protagonisten in einer mühsamen Routine gefangen sind, doch hätte man das offensiver für die Argumentation nutzen müssen. Nicht besonders geschickt wirkt zudem auch die Entscheidung des Regisseurs selbst so präsent zu sein. Er fragt die Protagonisten oft Dinge. Dabei sind Interviews entstanden, die ein wenig surreal wirken. Auf offener Straße, während seine Charaktere betteln, kommentieren diese dann auch gleich, laut und auf Rumänisch, wie die Menschen, die an ihnen vorbeigehen, von denen ihnen einige tatsächlich etwas geben, sich verhalten. Einmal schaut also Maria erst in ihren Becher, dann in die Kamera und berichtet nicht ohne Häme: „nur 30 Cent“.

Mit einer gewissen Forschheit nutzen die Protagonisten die Kamera als Plattform. Was etwas irritiert, aber schließlich klar positiv auffällt, ist, dass sich hier Menschen nicht klein reden, nur weil das die Gesellschaft oder der Gesellschaften, in der sie leben, mit ihnen tun. Dennoch zeigt der Film ein sehr einseitiges Bild. Wenn der Film schon als Langzeitstudie ausgelegt war, hätte man doch etwas mehr erwartet, vielleicht noch unterschiedliche Stimmen und Perspektiven. Einige der Szenen wirken darüber hinaus recht forciert. Sie werfen die alten Fragen auf, die man sich im Dokumentarfilm stellen muss, wenn es um die Themen Authentizität oder die Neutralität des Autors selbst geht. Doch abseits der ungewöhnlichen Entscheidungen, die sich auf die Form des Films beziehen, fungiert Europa Passage auf jeden Fall als Denkanstoss.

Europa Passage (2022)

Wir alle kennen sie, die Menschen, die vor dem Drogerie- , Supermarkt oder vor der Kirche sitzen und betteln. Meist über mehrere Monate jeden Tag am gleichen Ort, bis sie plötzlich wieder weg sind.

Aber wer sind diese Menschen, woher kommen sie und wohin verschwinden  sie dann wieder? Was bringt sie dazu, bei jedem Wetter auf der Straße zu sitzen und zu betteln? Der Filmemacher Andrei Schwartz geht dieser Frage nach und begleitet in seinem Dokumentarfilm EUROPA PASSAGE über einen Zeitraum von 5 Jahren das Leben einer Gruppe von Roma, die dauerhaft zwischen Hamburg und ihrem rumänischen Heimatdorf Namaiesti pendeln. (Quelle: imFilm / Wüste Film)

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