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Wer die Zukunft gestalten möchte, sollte die Vergangenheit kennen. Das gilt heute mehr denn je. Wie das gelingen könnte, zeigt dieser dokumentarische Essay, in dem eine Gruppe junger Menschen die Geschichte des Holocaust der Sinti und Roma erforscht.

Contemporary Past - Die Gegenwart der Vergangenheit (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Erinnerungsarbeit

Die Zeugen des Zweiten Weltkriegs werden weniger. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung an diese Zeit aufrechtzuerhalten. Wie schnell und einfach der Holocaust verharmlost werden kann, führt einem derzeit ein Blick in deutsche Parlamente vor Augen. Ein ungeheuerlicher, unvorstellbarer Vorgang und doch traurige Realität. Wie sich solchen Entwicklungen entgegenwirken lässt, zeigt Kamil Majchrzak in seinem dokumentarischen Essay.

Los geht es in einem Bus. Eine Gruppe junger Menschen aus Rumänien, Polen und Deutschland ist auf dem Weg zum ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald. Dort wollen sie mehr über die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma erfahren. Die Kamera ist mitten drin, wird bisweilen von den Teilnehmer*innen selbst geführt. In kurzen, über die Laufzeit verstreuten Interviews stellen sie sich, ihre Motive und Gedanken vor. Auch sie sind mitten drin, denn sie nehmen all die neuen Informationen nicht nur passiv auf, sondern erarbeiten sich das Vergangene aktiv in Seminaren und Workshops.

In Vorträgen und Gesprächen lernt die Gruppe, wie es um die Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland, Polen und Rumänien bestellt ist. In Interviews blicken Überlebende zurück. Die Teilnehmer*innen begeben sich auf archäologische Spurensuche, gehen ins Archiv und gestalten Gedenksteine für die Ermordeten. Mit dröger Geschichtsvermittlung und stupidem Auswendiglernen hat das nichts zu tun. Sich die Vergangenheit aktiv selbst zu erschließen, könnte eine Möglichkeit für die Zukunft sein, um die Vergangenheit nicht zu vergessen.

Die Kritiker*innen der deutschen Erinnerungskultur verharmlosen, vergleichen und relativieren gern. Der Geschichtsunterricht an den Schulen sei zu stark auf das Nazi-Regime und den Holocaust ausgerichtet, lautet ein beliebter Vorwurf. Die Schüler*innen seien des Themas überdrüssig. Ob dem tatsächlich so ist, überprüfen sie nicht. Ebenso wenig stellen sie die Frage, ob dahinter nicht ein allgemeiner Verdruss über den Geschichtsunterricht, über das Schulsystem und dessen Lehrmethoden stecken könnte. Kamil Majchrzaks Film zeigt, dass es auch anders geht. Hier herrscht allerorten reges Interesse.

In nicht einmal einer Stunde zeigt Majchrzak zudem, wie unterschiedlich in den drei Nationen, aus denen die jungen Menschen kommen, erinnert wird, wie Sinti und Roma bis heute diskriminiert werden und wie unabdingbar nicht zuletzt deshalb ein Erinnern ist. Eine länderübergreifende Bildungsreise wie die im Film vorgestellte füllt manche Lücke der nationalen Lehrpläne. Eine Teilnehmerin bringt es auf den Punkt: „We need to remember the past, so that we can change the future“ – man müsse die Vergangenheit erinnern, um die Zukunft zu ändern. Was in diesem Fall auch bedeutet, die Fehler der Vergangenheit in Zukunft nicht zu wiederholen.

Contemporary Past - Die Gegenwart der Vergangenheit (2019)

Im ehemaligen deutschen Konzentrationslager Buchenwald treffen sich mehrere Schülerinnen und Schüler aus Rumänien, Polen und Deutschland, um die Geschichte des Holocaust der Sinti und Roma zu erforschen. Was wissen sie über die jahrhundertelange Diskriminierung von Sinti und Roma in ihren Ländern? Haben Minderheiten einen Platz in ihren nationalen Erinnerungs- und Gedenkkulturen? Welchen Beitrag kann aktive Zeugenschaft in der Erinnerungsarbeit leisten? Sinti und Roma gehören zu der größten Minderheit in Europa, die seit Jahrhunderten hier leben und nach wie vor Ziel sozialer Ausgrenzung und Gewalt werden. Der filmische Essay verweist auf eine ethische Archäologie der Vergangenheit, in der zeitgenössisches Gedenken die Art und Weise offenbart, wie wir uns selbst und unsere Gesellschaft betrachten und Verantwortung für das Gegenüber übernehmen müssen.

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