Catch the Fair One (2021)

Eine Filmkritik von Sophia Derda

Der Kampf um die eigene Stimme

Zu Beginn von „Catch the Fair One” beobachten wir die Boxerin Kaylee wenige Momente vor einem Kampf. Sie trägt türkise Handschuhe, dazu passend Sport-BH und Shorts mit gold-türkisem Glitzer, die in dem dunklen Raum auf- und abrauschen. Ihre Gesichtszüge sind vollkommen fokussiert auf den Ring und auf den Sieg. Im beruflichen Alltag lässt sich Gegenteiliges beobachten. Kaylee jobbt in einem Diner, wird von Kund*innen angemeckert und muss zurückgegebenes Essen für sich selbst mitgehen lassen. Als sie bei der Arbeit von einer jungen Frau erkannt wird, die sich als großer Fan vorstellt, macht sie nur widerwillig ein Selfie. 

Catch the Fair One bewegt sich nach diesen charakterisierenden Anfangsszenen zügig von Kaylees Alltag weg. Kaylee verfolgt ein anderes Ziel. Da lauert ein langjähriges Trauma, das sie endlich aufarbeiten muss. Es geht um Weeta, Kaylees kleine Schwester. In zerstückelten Rückblenden erfahren wir nach und nach, dass sich Weeta nach einem Treffen mit Kaylee alleine auf den Weg nach Hause gemacht hat. Das war das letzte Mal, dass man sie gesehen hat. Es liegt auf der Hand, dass ein Menschenhändlerring für ihre Entführung verantwortlich ist. Kaylee sieht sich in der Verantwortung, und nachdem von der Polizei keine Hilfe zu erwarten ist, beginnt sie, in die Wege zu leiten, dass sie selbst entführt wird.

Der Film behandelt ein hochaktuelles Thema, das viel zu häufig unter dem Radar läuft. Das National Crime Information Center berichtet, dass es im Jahr 2016 5.712 Meldungen über vermisste indigene Mädchen und Frauen gab, obwohl die bundesweite Vermissten-Datenbank des US-Justizministeriums, NamUs, nur 116 Fälle registrierte. Gleichzeitig listet das Center for Disease Control Mord als dritthäufigste Todesursache für indigene Frauen.

Kali Reis, die Hauptdarstellerin in Catch the Fair One, ist selbst Profiboxerin und Weltmeisterin in zwei Gewichtsklassen. Die im Nordosten der USA geborene Frau ist außerdem eine Native American, sie gehört dem Stamm der Seaconke Wampanoag in Neuengland an. In der Sportwelt ist sie als „KO Mequinonoag“ bekannt, eine Anspielung auf ihren Vornamen, der im Algonquian-Dialekt „viele Federn, viele Talente“ bedeutet. Diese Nähe zu ihrer Figur kommt nicht von ungefähr: Reis hat maßgeblich am Drehbuch mitgeschrieben.

Kali Reis setzt sich schon lange für die Rechte indigener Frauen in den USA ein und spricht in Interviews häufig über ihre eigenen Erfahrungen und den Wunsch, dass die Lebensrealitäten von BIPoC Menschen von der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit erhalten. (Die Abkürzung „B(I)PoC“ ist ein Begriff, der sich auf Schwarze, Indigene und People of Color bezieht. Mit dem Begriff sollen explizit Schwarze und indigene Identitäten sichtbar gemacht werden, um Anti-Schwarzem Rassismus und der Unsichtbarkeit indigener Gemeinschaften entgegenzuwirken.) „Ich verstehe nicht, warum wir übersehen werden”, sagt Reis, „(…) ihr wollt unsere Kultur, ihr wollt unseren Glauben, ihr wollt das Essen, ihr wollt die Musik, ihr wollt die Federn und die Kopfbedeckungen und ihr wollt euch zu Halloween wie wir verkleiden. Aber ihr wollt die Menschen, von denen das kommt, nicht respektieren?” 

In Catch the Fair One wird schnell klar, dass es sich bei Kaylees Suche um einen Kampf gegen Windmühlen handelt. Das Netz der Menschenhändler wird von ihr nur ansatzweise erschüttert. Dabei weisen ihre Handlungen neben der unbändigen Kraft, die sie sich durch das viele Boxtraining angeeignet hat, eine sehr brutale Seite auf. Regisseur Josef Kubota Wladyka schreckt nicht davor zurück, die Körperlichkeit seiner Protagonistin in den Fokus zu stellen. Die Zuschauenden begleiten Kaylee dabei distanziert und nach einigen sehr drastischen Szenen wird schwer vorhersehbar, wo der Film mit einem hin will.

Aber das macht Catch the Fair One auch so enorm eindrücklich. Der Film erzählt nicht nach einer klassischen Dramaturgie eine Geschichte über Rache. Viel zu gewaltig sind die Mächte, gegen die sich Kaylee versucht zur Wehr zu setzen. Damit wird der Film der Realität gerecht. Es gibt zu wenig Unterstützung und zu wenig Aufklärung über die Femizide an indigenen Frauen. Kali Reis kämpft dagegen an. Als erste indigene Frau, die Weltmeisterin im Boxen wurde, wurde Reis vor kurzem in die North American Indigenous Athletic Hall of Fame aufgenommen, nur wenige Monate nachdem sie ihren Titel im Superleichtgewicht verteidigt hatte. Sie teilt die Geschichten von Menschen, die nicht gehört werden, um Bewusstsein zu schaffen. Catch the Fair One hat dabei einen wichtigen Beitrag geleistet. 

Catch the Fair One (2021)

Nach dem mysteriösen Verschwinden ihrer Schwester stößt eine Boxerin bei ihren Nachforschungen auf einen Mädchenhändlerring und plant ihre eigene Entführung, um sie zu finden. Sie will sich die Befehlskette hinaufarbeiten, um an den Verantwortlichen zu gelangen. (Quelle: Cinema Obscure)

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