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Ein junges Mädchen ist davon überzeugt, bald zu sterben. Deshalb wirft sie sich in ein flirrendes und gefährliches Abenteuer der Nacht. Ein fantastisches, ausdrucksstarkes Gothic-Märchen.

Bitten (2023)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Im dunklen, dunklen Wald

In jüngster Vergangenheit hat es nicht wenige Coming-of-Age-Filme gegeben, die sich Formen und Metaphern aus dem Horrorkino geliehen haben. Das Motiv des Werwolfs in „When Animals Dream“, der Kannibalismus in „Raw“ oder das Vogelwesen aus „Hatching“ sind drei einprägsame Beispiele und zudem Filme, in denen es explizit um weibliches Begehren, Erwachsenwerden und Rebellion geht. Der französische Regisseur Romain des Saint-Blanquat geht in seinem Debüt „La Morsure“ einen ähnlichen und doch ganz anderen Weg: Er hat eine märchenhaft-wilden, ekstatischen Film über das Erwachsenwerden gedreht, der sich tief in die Film- und Bildsprache der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre hineinlegt.

Der Ausgangspunkt der Geschichte ist bereits als Referenz zu verstehen: Wir befinden uns im Jahre 1967 in einem streng geführten katholischen Mädcheninternat. Die Pubertät zieht über die Flure, während die Jungs aus dem Dort den Mädchen Nachrichten durch den Zaun stecken: Das Verbotene ist reizvoll. Doch hat die Sexualität an einem solchen Ort überhaupt keinen Platz. Auch für die 17-jährige Françoise (Léonie Dahan-Lamort) ist die Schule ein Gefängnis. Mit ihrem ernsthaften Hang zum Okkulten, wirkt sie bei den Glaubensschwestern ohnehin fehl am Platz.

Seit einem fürchterlichen Alptraum, mit dessen furioser Montage-Sequenz der Film auch beginnt, glaubt das Mädchen, ihren baldigen Tod vorhergesehen zu haben. Da sie allerdings nicht als Jungfrau sterben will, kommt ihr die Einladung zu einer Kostümparty sehr gelegen. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Daphne (Lilith Grasmug) türmt Françoise, um sich auf den Weg zum Verlust ihrer Unschuld zu machen. Dabei begegnen sie nicht nur einem hilfsbereiten und doch unheimlichen älteren Mann, der sie selbstlos im geklauten Wagen zu einer abgelegenen Villa fährt, sondern treffen auch auf eine Rockergang aus Halbstarken und auf einen Vampir. In Verlauf der Nacht werden einige Grenzen überschritten und auch der Tod lauert im dunklen Wald ­– wenn auch anders als erwartet.

Das ständige Unterlaufen der Erwartungshaltung ist eine große Stärke des Films. La Morsure kümmert sich nicht groß um Realismus, begibt sich vielmehr tief in die leidenschaftlich-fatalistische Vorstellungswelt einer Jugendlichen, die gut und gerne die Cousine von Wednesday Adams sein könnte. Da werden Märchen zitiert (Françoise trägt im Wald einen aufdringlich roten Mantel, der deutlich auf Rotkäppchen verweist), Bilder aus dem Horrorfilm aufgerufen (Psychokiller, Vampire) und eben eine Bildsprache benutzt, die stark an die erotisch-wahnwitzigen Filme eines Jess Franco oder eines Walerian Borowczyk erinnern – wenngleich es in La Morsure deutlich züchtiger zugeht und nur eine Nacktszene auf die freizügigeren Vorbilder verweist.

 Romain des Saint-Blanquat hat ein unbekümmertes Gothic-Märchen geschrieben, das dem Geist des sexuellen Erwachsens mit morbidem Witz und melancholischer Traurigkeit eine subjektive Wahrheit abringt. Was vor allem in dieser Zeit – 1967, Kulturrevolution – für Frauen immer noch auf dem Spiel stand, wird in einer Feier der Außenseiter und Nerds aufgelöst, ohne jemals die eigene Gravitas aus den Augen zu verlieren. Gleichwohl muss es einem Wunder gleichkommen, wenn dieser Film jemals in Deutschland in den Kinos aufschlagen sollte. Den Namen Romain des Saint-Blanquat aber, den sollte man auf dem Zettel haben.

Bitten (2023)

Eine katholische Internatsschülerin ist fest davon überzeugt, dass die kommende Nacht die letzte auf Erden ist und besucht mit ihrer Besten Freundin eine Kostümparty.

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