Log Line

Sophie und Dominik lieben sich – sie sind minderjährig, leben auf der Straße, und außer ihrer Liebe haben sie nichts. In großer Nähe begleitet „Berlin Bytch Love“ diese beiden, ein Dokumentarfilm, der so intensiv erzählt ist wie ein Spielfilm.

Berlin Bytch Love (2022)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Liebe auf der Straße

Sie lieben sich, bedingungslos. Sie küssen sich auf der Straße, umarmen sich, tanzen. Auf der Rutsche liegen sie vertraut beieinander. Im Leib von Sophie wächst die Frucht ihrer Liebe heran; sie finden eine kleine Wohnung, sie beginnen ihren Alltag miteinander – sie sind obdachlos. Sie lieben nicht nur, sondern leben auch auf der Straße, schlafen in Hauseingängen oder in einem Zelt im Park. Aber sie lieben sich. Sie lieben sich so heftig, wie Teenager es tun.

Berlin Bytch Love erzählt eine Liebesgeschichte, und es ist ein Dokumentarfilm. Das muss man betonen: Denn die Regisseure Heiko Aufdermauer und Johannes Girke erzählen ihre wahre Geschichte aus dem wahren Leben wie einen Spielfilm, mit flüssigem Schnitt, klar konturierter Kamera, vor allem ohne Doku-typische Elemente wie Interviews oder Erklärtext.

Es ist schier unglaublich, wie nahe wir Sophie und Dominik kommen, den beiden, die noch lange minderjährig sind, für die Berlin die ganze Welt ist, und die sich doch irgendwohin sehnen. Dahin, wo nicht der Knast droht, wo nicht die Auseinandersetzung mit dem Vater droht, dahin, wo es so etwas wie Sicherheit und Perspektive gibt, ein bisschen davon wenigstens. Es ist vor allem unglaublich, wie nah Audermauer und Girke ihren Protagonisten kommen durften, es muss ein enorm großes Vertrauensverhältnis gegeben haben: Sophie und Dominik und eine Kamera, die für sie nicht da ist, die sie ausblenden, wenn sie sich liebevoll frotzeln, wenn sie liebevoll kuscheln, wenn sie Hoffnungen für die Zukunft erträumen und versuchen, die Beziehung von Sophies Schwester zu kitten.

Drogen, Einbruch: Dominik wird mit Haftbefehl gesucht; immer wieder die Ultraschallbilder, die das Baby in Sophie zeigen. Der Gerichtstermin; die Angst vor dem Sozialarbeiter, der vielleicht die Bullen auf sie hetzt. Die Suche nach Gras. Kiffen hilft beim Einschlafen. Die Angst, mit Gras erwischt zu werden, wegen Bewährung. Und das Glück einer kleinen Wohnung, wo sich die beiden niederlassen können, wo sie einen kleinen Haushalt aufbauen.

Von der ungestümen Liebe auf den Straßen Berlin wandelt sich der Film in das Porträt eines Anfangs. Sophies Bauch wächst, sie finden Halt in Freunden und Bekannten. Und doch zeigt der Film immer weniger Berührungen und Küsse der beiden, die Routine findet sich ein, der Alltag, den es vorher nie gegeben hat. Auf der Straße, obdachlos, da gab es die Idee, nach Frankreich zu fliehen, wo keine Polizei die beiden sucht – jetzt gibt es Bob der Baumeister-Tassen und Benjamin Blümchen-Müslischalen und ein Kinderbettchen in der Ecke.

Die Regisseure hatten großes Glück mit diesen Protagonisten, die den Film tragen, die den Zuschauer mit sich nehmen in ihre Welt zwischen Pfandflaschensammeln und Postkartenverkauf, damit der nächste Döner gekauft werden kann (und ein bisschen was zum Kiffen). Und sie hatten enormes Glück mit der Geschichte, der sie begegnet sind – über zwei Jahre haben sie Dominik und Sophie begleitet, haben in 40 Drehtagen diese Story gefunden, eine Geschichte von Liebe und von Festigung und damit von Veränderung und den Herausforderungen, die damit zusammengehen. Was der Film ganz nebenbei, aber immer mehr als Hauptsache, erzählt, eine Geschichte von der Zukunft dieses Paares, die ungewiss ist.

Einmal sitzen sie in Berlin auf einer Bank, eine ältere Frau kommt mit Sack und Pack dazu. Ihr seid so ein schönes Paar, sagt sie, ihr seid die nettesten in der ganzen Gegend. Hoffentlich zerbrecht ihr nicht. Man zerbricht so leicht.

Berlin Bytch Love (2022)

Sophie (15) und Dominik (17) sind von zuhause abgehauen, um einen Sommer lang ihre Liebe auf den Straßen von Berlin zu leben. Nun ist Sophie schwanger, der Winter kommt und die Polizei sucht die beiden. Eine dokumentarische Momentaufnahme des Erwachsenwerdens — erzählt wie ein Spielfilm.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen