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Anton Bruckner hat keine „populäre Klassik“ komponiert mit Ohrwürmern, wie man sie von Bach, Beethoven, Mozart kennt. Umso verdienstvoller ist ein ausführliches dokumentarisches Porträt über ihn – wenn Regisseur Reiner Moritz sich in „Anton Bruckner – Das verkannte Genie“ nur nicht so verzetteln würde.

Anton Bruckner - Das verkannte Genie (2019)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Klassiker-Biografie

Anton Bruckner hatte nie einen Hit, wie es Franz Schubert mit dem Lindenbaum-Lied oder Richard Wagner mit dem Walkürenritt gelang. Wagner war für Bruckner ein großes Idol, er widmete ihm seine dritte Sinfonie; und der Dirigent Valery Gergiev freut sich unbändig, wenn er Schuberts Spuren in Bruckners Werk entdeckt. Gergiev hat mit den Münchner Philharmonikern die Gesamtheit der brucknerschen Sinfonien aufgeführt, Mitschnitte davon bilden ein wichtiges Element dieses Filmes: Regisseur Reiner Moritz setzt in der zweiten Hälfte auf das Musikalische, hier findet der Film zu sich selbst, wenn Bruckners kompositorische Kunst analysiert und über die konzertante Performance illustriert wird.

Zuvor ging Moritz vor, als müsse er einen Wikipedia-Artikel mit bewegten Bildern füllen. Lebensstation um Lebensstation wird abgehandelt, das ist in seiner Detailliertheit geradezu enervierend. Denn da gäbe es so viele Möglichkeiten, interessanter zu erzählen! Der Film stößt ziemlich am Anfang auf eine Busladung Amerikaner: Das sind Mitglieder der Bruckner Society, eine Art Fanclub, der 1931 im Umfeld der Columbia University gegründet wurde. Wie interessant wäre es gewesen, dieser Gruppe zu folgen, die ja ebenso wie Moritz und die Filmkamera die biografischen Spuren Bruckners in Oberösterreich verfolgt! Eine Bruckner Biografin erzählt von einem Nervenzusammenbruch, den der Komponist wegen Überlastung erlitten hatte, und dass er sein Lebtag unter Zählzwang litt – das wäre ja auch mal interessant gewesen zu erfahren, ob und wie sich eine Zahlenneurose aufs Komponieren auswirkt. Und warum eigentlich hat sich Bruckner auf all seine diversen Annäherungsversuche an diverse Frauen nur Körbe eingehandelt? Zudem fragt man sich, warum bei all den Experten, bei all den Gedenktafeln an diversen Häusern, wo Bruckner mal gewohnt hat, wo er als Lehrer oder Organist gearbeitet hat, bei all den Schulen, die nach ihm benannt wurden, und bei all den amerikanischen Fans er laut dem Filmtitel eigentlich ein „verkanntes Genie“ sein soll? Zumal Bruckner, wie am Ende des Films in einem Nebensatz erwähnt wird, dass er zum Zeitpunkt seines Todes nahezu Millionär war.

Wenn es dann um die Aufführungen der Sinfonien geht: Dann kommen wir tatsächlich dem Genie auf die Spur, und das durchaus vielschichtig. Wenn die hochkünstlerische Einbindung beispielsweise volkstümlicher Musik besprochen wird, die damit der Sphäre des Populären enthoben wird; wenn das Kontrapunktische gewürdigt wird, wenn das enorme Raumgefühl analysiert wird, wenn seine kompositorische Herkunft vom Orgelspiel angedeutet wird: Dann werden diese Thesen klug und treffend musikalisch belegt, mit kürzeren und längeren Ausschnitten aus Gergievs Sinfonien-Zyklus.

Und besonders schön sind Gergievs Einlassungen im Interview, in denen er von seiner Bruckner-Begeisterung redet und von seinen Interpretationen des Oeuvres – sie ergänzen sich sozusagen auf professioneller Ebene mit den Ansichten von Kent Nagano, der das brucknersche Raumgefühl betont. (Der in der Werbung des Films angeführte Sir Simon Rattle taucht nur kurz auf…) Ein schönes Extra sind die Rezitationen zeitgenössischer Kritiken von Bruckners Sinfonien, die teils hymnisch ausfallen, teils aber ganz böse treffen: ein paar geniale Momente habe er ja schon, aber der Rest sei langweilig und vor allem lang…

So gelingt es dem Film am Ende doch, Bruckner als Komponist zu würdigen – und lässt dennoch vieles zu wünschen übrig. Weil vieles angerissen wird, aber nicht weiterverfolgt – weil einige Ansätze, die ein spannenderes Erzählen ermöglicht hätten, außer Acht gelassen werden – weil die Stärke des Films, nämlich das Ausspielen der Sinfonien, ignoriert wird.

Anton Bruckner - Das verkannte Genie (2019)

Gemeinsam mit dem Dirigenten Valery Gergiev und den Münchner Philharmonikern begibt sich Regisseur Reiner E. Moritz in seiner Musikdokumentation auf die Spuren des österreichischen Komponisten und Organisten Anton Bruckner, der erst am Ende seines Lebens und posthum Anerkennung fand. (Quelle: Presse Mitteldeutsche Medienförderung)

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