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Im Juni 1993 machte John Wayne Bobbitts abgetrennter Penis weltweit Schlagzeilen. Seine missbrauchte Ehefrau Lorena ging im Medienrummel unter. Eine von Jordan Peele („Get Out“) produzierte Dokuserie blickt hinter die Sensationsnachricht.

Lorena (Dokuserie, 2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Eine Nachricht, ein Vierteljahrhundert später

Verbrechen verkaufen sich immer, Sex sowieso. Im Juni 1993 kamen die beiden in einer Kombination zusammen, die die Regenbogenpresse weltweit die Gelddruckmaschinen anwerfen ließ. Regisseur Joshua Rofé nimmt sich des spektakulären Falls ein Vierteljahrhundert später noch einmal an und bedient damit selbst einen Hype.

Die Hochkonjunktur, die Verbrechen in den Medien haben, stehen in einem seltsamen Missverhältnis zu den Kriminalstatistiken, die, zumindest hierzulande, seit Jahren sinkende Zahlen präsentieren. Vielleicht ist es ja gerade dieses Wissen um die eigene Sicherheit, das das Vergnügen am Nervenkitzel auf der Wohnzimmercouch ausmacht. Und was könnte gruseliger sein als moderne Schauergeschichten aus der Nachbarschaft?

True Crime lauten die Zauberworte, unter denen die Unterhaltungsindustrie Fälle wie den des Ehepaars Bobbitt aus Manassas, Virginia, USA in leicht verdauliche Häppchen zerstückelt. Streamingriese Netflix hat so viele davon im Katalog, dass man schnell den Überblick verliert. Der Boom frisst längst die eigenen Kinder und bringt manch kongeniale Abart hervor. Netflix‘ Spektrum etwa reicht vom Aushängeschild Making a Murderer bis zur Parodie American Vandal, die postpubertäre Streiche von Highschoolkids, etwa auf Autos gesprühte Penisse, wie Schwerverbrechen behandelt und damit das Format ad absurdum führt.

Amazon Prime legt nun mit einer eigenen Serie nach. Auch in Lorena geht es um einen Penis, allerdings kein bisschen parodistisch zu. In vier etwas mehr als einstündigen Kapiteln rekonstruiert Regisseur Joshua Rofé die Tatnacht, die Gerichtsverhandlungen und den Medienrummel um das Ehepaar aus Virginia und zeigt, was aus den Beteiligten geworden ist. Doch was war geschehen?

Als John Wayne Bobbitt am 23. Juni 1993 mit einem Kumpel von einer Kneipentour nach Hause kommt und seine Frau Lorena vergewaltigt, bricht sie unter seinem jahrelangen Missbrauch zusammen. Nachdem er eingeschlafen ist, schneidet sie ihm mit einem Küchenmesser den Penis ab und fährt, die Corpora Delicti noch in Händen, ziellos durch die Gegend. Das Messer entsorgt sie in einer Mülltonne, Johns bestes Stück wirft sie unterwegs aus dem Fenster. Suchtrupps der Polizei finden den Penis auf einer Wiese. Urologe James Sehn und Mikrochirurg David Berman nähen ihn wieder an. Für ihre Taten landen John und Lorena in zwei voneinander unabhängigen Verhandlungen vor Gericht – und werden von den Jurys freigesprochen.

Rofé formt aus den Ereignissen eine Collage aus Archivmaterial und nachgestellten Szenen. Alten Interviews stellt er neue entgegen, gibt den damaligen Ermittlern, dem Staatsanwalt, den Verteidigern und Geschworenen, allen voran jedoch Lorena und John Wayne die Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge aus der Distanz von 25 Jahren noch einmal zu schildern, alte Ansichten gegebenenfalls zu revidieren.

Die unterschiedliche Konsistenz der Aussagen sticht sofort ins Auge. Während Lorenas Version der Wahrheit damals wie heute überzeugend klingt, widerspricht sich John schon in diversen Archivaufnahmen. Und noch ein weiterer Punkt kristallisiert sich heraus: wie verschieden die Geschlechter auf den Vorfall reagieren. Während Männer in mitfühlenden Phantomschmerz verfallen, der ihnen anscheinend ein klares Urteilsvermögen raubt, stellen sich Frauen die einzig logische Frage: Was muss ein Mann einer Frau antun, damit sie zu solch radikalen Mitteln greift?

John Wayne Bobbitt bleibt bis heute bei seiner Version. Er sei in der Tatnacht weder betrunken gewesen noch habe er seine Ehefrau vergewaltigt, gibt er vor Ronan Killeens Kamera zu Protokoll. Körperliche Gewalt liege ihm fern. Seine ehemaligen Nachbarn und seine Strafakte, die nach der Scheidung von Lorena kontinuierlich angewachsen ist, zeichnen ein anderes Bild. Überhaupt gibt John Wayne ein trauriges Bild ab. Schlecht beraten und von windigen Managern ausgenutzt, stieg er in die Pornoindustrie ein, ließ sich seinen Penis vergrößern (!) und landete als Grüßonkel in einem Puff.

Der Thrill, einem echten Verbrechen bei seiner Rekonstruktion zuzusehen, stellt sich auch bei Lorena ein. Die Mittel des Filmemachers sind indes mitunter misslungen. Rofé vermeidet die Konfrontation. Statt John und andere Beteiligte auf die Widersprüche direkt anzusprechen, widerlegt Rofé ihre Aussagen in der Montage. Auch die Anordnung des Materials ist fragwürdig. Um Spannung und Cliffhanger zu erzeugen, enthält der Dokumentarfilmer seinem Publikum wichtige Informationen vor oder reißt Zitate aus dem Zusammenhang und macht es damit nicht besser als die von ihm kritisierten Medien.

In seinen besten Momenten ist Lorena mehr als ein Stück Kriminalgeschichte. Dann blickt Rofé auf die Auswüchse des Boulevardjournalismus, der 1993 zwar nicht neu war, sich durch das aufkommende Kabelfernsehen aber in einer verschärften Konkurrenzsituation befand und Lorena lieber zur irren Eifersuchtstäterin stempelte, als das Missbrauchsopfer in ihr zu erkennen. Dann nimmt Rofé die komplizierte Rechtslage in Virginia und anderen US-Bundesstaaten unter die Lupe, die einen Nachweis von häuslicher Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe unheimlich schwer und es Tätern damit unglaublich leicht macht. Und dann bildet Rofé eine Gesellschaft ab, die einen Mann wie John Wayne Bobbitt, der eigentlich selbst Hilfe bräuchte, wie das letzte Kapitel mit einer fahrlässigen Beiläufigkeit zeigt, zu einem Klatschpressenstar hochjubelt.

Diese Seitenblicke betreffen auch uns, betreffen Frauen weltweit. In Lorena sind sie zu flüchtig, liefern aber zumindest einen Anreiz, bei Themen wie häuslicher Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe, bei Missbrauch allgemein künftig näher hinzusehen. Die Diskussion ist eröffnet.

Lorena (Dokuserie, 2019)

Die von Jordan Peele (Get Out) produzierte dokumentarische Miniserie beleuchtet die Hintergründe des berüchtigten Falls von John Wayne und Lorena Bobbitt, der Anfang der 90er Jahre in den USA und weltweit für Schlagzeilen sorgte. Lorena hatte im Jahre 1993 ihrem Mann eines Nachts dem Penis abgeschnitten, nachdem er sie nach ihren Angaben vergewaltigt hatte. Diese Darstellung hielt später einer gerichtlichen Untersuchung nicht stand.


In Lorena geht es nun vor allem um den Sensationsjournalismus, der den Fall begleitete. Denn während Boulevardpresse und Talkshows die Bobbitt-Story ausschlachteten, verpasste die Gesellschaft die Gelegenheit, eine nationale Diskussion über häusliche und sexuelle Gewalt in Amerika anzustoßen. Lorena untersucht die tiefgreifenden moralischen Probleme und leidvollen persönlichen Tragödien, die mit dem berüchtigten amerikanischen Skandal einhergehen. 

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