Day Night Day Night

Eine Filmkritik von tm

Zwei Tage und zwei Nächte einer Selbstmordattentäterin

Wer ist diese Frau, der die aus Brooklyn stammende Filmemacherin Julia Loktev in ihrem Film Day Night Day Night folgt? Wir wissen es nicht, erfahren nur wenig über sie: Sie (Luisa Williams) ist jung und spricht mit einem leichten Akzent, der keinem bestimmten Land zuzuordnen ist. Auch ihre verschatteten Augen, das dunkle Haar, die unbestimmte Hautfärbung – all das lässt keinen Schluss zu, woher die junge Frau stammt, die gerade in New York eingetroffen ist. Kurz nach ihrer Ankunft zückt sie ein Mobiltelefon und wird von einer Stimme zu einem Treffpunkt gelotst, wo bereits ein Mann in einem Wagen auf sie wartet, der sie zu einem anonymen Hotelzimmer bringt.
Nach einer langen Zeit des Wartens erhält die junge Frau Besuch von drei Männern, deren Gesichter mit Skimasken vermummt sind. Auch diesen Männern ist nicht anzusehen oder anzuhören, woher sie kommen. Umso klarer aber sind ihre Absichten: Die junge Frau soll mitten auf dem Time Square in New York eine Bombe zünden und möglichst viele Menschen mit in den Tod reißen. Immer wieder gehen die Männer mit der Selbstmordattentäterin den Plan durch, erklären, fragen nach der Details der falschen Identität, die die Frau im Falle von Fragen benutzen soll, schwören sie auf das Ziel ein und zeichnen ein Bekennervideo auf.

Irgendwann später wird sie in einen Keller gebracht, wo sie die tödliche Ladung, die sich in einem unscheinbaren gelben Rucksack befindet, und den als MP3-Player getarnten Zünder angepasst bekommt. Dann macht sie sich auf den Weg zum Time Square…

Day Night Day Night ist ein zutiefst beunruhigender und irritierender Film, der niemals auch nur im Entferntesten versucht, die Motive der jungen Frau oder die Hintergründe der Tat zu erklären. Wir wissen nichts über sie, nicht einmal ihren Namen, nichts über ihre Vergangenheit, beinahe nichts über ihre Eltern, mit denen sie einmal kurz telefoniert, oder über das, was sie zu dieser schrecklichen Tat antreibt. Alles was wir wissen, ist ihr Vorhaben und die Tatsache, dass diese Frau nicht nur keine Vergangenheit hat, sondern auch keine Zukunft.

Je weniger wir verstehen, warum sie so handelt, desto mehr Informationen erhalten wir über den rein technischen und organisatorischen Ablauf, über die tödliche Effizienz der Terrorgruppe, über den minutiös geplanten Ablauf des Attentats, dem wir mit der gleichen Unausweichlichkeit entgegensehen wie die junge Frau. Und zugleich werden die scheinbar nebensächlichen Details, jeder noch so kleine Handgriff oder jede minimale Bewegung in ihrem Gesicht, plötzlich enorm wichtig, weil wir begreifen wollen, was sie antreibt. Doch genau diese Erkenntnis verweigert der Film. Und zwar durchaus bewusst, wie die Regisseurin erläutert: „Wie viel Warum wäre genug? Würde es reichen, sie als fundamentalistische Muslimin darzustellen? Als arabische Immigrantin? Als Angehörige einer unterdrückten Gruppe? Sollte ich sie mit einer tragischen Familiengruppe versehen, vielleicht mit toten Eltern, die gerächt werden müssen? Solche Erklärungen implizieren ein trügerisches Ursache-Wirkung-Verhältnis, sie lullen das Publikum mit einem allzu bequemen Gefühl des Verstehens ein, wobei sie oft nur bekannte Metaphern bestätigen. Im wirklichen Leben gehen die Dinge manchmal nicht so einfach auf wie im Fall des 15-jährigen Palästinenserjungen, der mit einer Bombe verhaftet wurde und auf die Frage nach dem Warum antwortete: „Ich wollte einen getöteten Freund rächen und hatte keinen Bock auf die Schule.“

Außerdem, so erläutert Julia Loktev weiter, würde ein plausibel konstruiertes Motiv einer Rechtfertigung der Tat gleichgekommen. Und eine Tat wie diese ist von außen betrachtet mit Nichts zu rechtfertigen, während Fanatiker niemals auf den Gedanken kämen, sich rechtfertigen zu müssen – sie fühlen sich im Recht, ja sogar in der Pflicht, so zu handeln wie sie es tun.

Selten wurde die Unbegreiflichkeit und Unerklärbarkeit terroristischer Denkmuster so auf den Punkt gebracht wie in diesem kleinen und höchst wirkungsvollen Filmexperiment, das allen filmischen und dramaturgischen Gesetzmäßigkeiten zum Trotz das Unbehagen zeigt, dass die täglichen Nachrichten von Terroranschlägen bei uns hinterlassen.

Day Night Day Night

Wer ist diese Frau, der die aus Brooklyn stammende Filmemacherin Julia Loktev in ihrem Film Day Night Day Night folgt? Wir wissen es nicht, erfahren nur wenig über sie:
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