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Ist der Mensch genial oder ein kleines Licht, einzigartig oder unbedeutend? Tiago Hespanha geht diesen Fragen an einem ungewöhnlichen Ort nach: dem größten Militärstützpunkt Europas.

Campo (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Philosophische Collage am Exerzierplatz

Soldaten schauen gebannt in den Himmel, ein Ornithologe lauscht den Vögeln, ein Junge spielt am Klavier seine Eigenkomposition über einen Krieg in den Sternen, ein Schaf gebiert ein Lamm, ein anderes stirbt während der Geburt. All das geschieht auf und rund um Europas größtem Militärstützpunkt, südlich von Lissabon. Regisseur Tiago Hespanha fügt Menschen, Tiere und Ereignisse zu einer philosophischen Collage über Unendlichkeit und Endlichkeit zusammen.

Die erste Viertelstunde beobachtet Hespanha bloß. Soldat*innen regnen zu Orchestermusik an Fallschirmen vom Himmel. Aus großer Entfernung sehen sie wie winzige Insekten aus. Ein Imker hält die Population seiner Bienenvölker mit seinem Mobiltelefon fest. Dazu rezitiert der Filmemacher aus dem Off den antiken Schöpfungsmythos nach Platons Dialog Protagoras. Erste Fragen tun sich auf.

Ist Prometheus an all dem schuld? Sein Titanenbruder Epimetheus hatte jede Tierart mit einer anderen überlebenswichtigen Qualität bedacht, die Menschen aber vergessen. Als Ausgleich brachte Prometheus ihnen das Feuer. In ihren Militärübungen demonstrieren die Soldat*innen, was diese Feuerkraft Tausende Jahre später anrichten kann. Der göttliche Funke, der den Menschen den Verstand gegeben hat, hat ihnen auch den Krieg gebracht. Gegen Ende des Films fällt ein Waldarbeiter einen 70 Jahre alten Baum. Ein ganzes Leben wird in nicht einmal drei Minuten beendet.

Während die Kamera das weitläufige Areal erkundet, mal joggende Militärs, mal scheues Rotwild in den Blick nimmt, sinniert der Regisseur aus dem Off über den Namen der Basis. Diese heißt schlicht „Campo“, was im Portugiesischen wie in seinem lateinischen Ursprung nichts weiter als „Feld“ bedeutet. Das englische „camp“ oder „camping“ stammt ebenso davon ab wie das deutsche Wort „Kampf“. Hespanhas Film ist voll kluger Verknüpfungen wie dieser.

Nach einer Viertelstunde macht sich der Regisseur auch anderweitig bemerkbar. Hespanha bleibt nicht länger nur Stimme aus dem Off, sondern fragt abseits der Kamera nach, stiehlt sich mitunter ins Bild. Mit den Bildern schreiten auch seine Geschichten voran. Die antiken Mythen weichen Anekdoten über die Eroberung des Weltalls. Auf der Leinwand zu sehen sind dann Sterngucker, die sich in tiefster Nacht über ihre Teleskope gebeugt über die Bedeutung und Bedeutungslosigkeit des Menschen im Universum unterhalten.

Was also ist der Mensch? Ein Ebenbild der Götter, das qua seines Verstandes nach den Sternen greifen kann? Oder nicht viel mehr als ein denkendes Tier, das seinen Lebensraum bedenkenlos zerstört? Die Antwort liegt wie immer – und wie Hespanhas Mischung aus Dokumentarfilm, Essay und Collage – irgendwo dazwischen. Auf der größten Militärbasis Europas liegen Fortschritt und Rückschritt, Natur und Technik, Schöpfergeist und Zerstörung dicht beieinander.

Campo (2019)

Außerhalb von Lissabon liegt „Campo“, Europas größte Militärbasis. An diesem Ort üben Militärtruppen fiktionale Missionen, Astronomiebegeisterte beobachten die Sterne und ein Junge spielt Klavier für das Reh, das sich im Dunkel versteckt. CAMPO reflektiert das Alltägliche und das Transzendentale und wie sie untrennbar miteinander verwoben sind. Hier zeigt sich das Leben in seinen widersprüchlichen und mysteriösen Dimensionen.

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