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Viele Menschen sind Sinnsucher. Mit Geld, Erfolg und Ruhm geben sie sich nicht zufrieden. Dokumentarfilmerin Sandra Gold hat vier von ihnen getroffen. Sie gehören unterschiedlichen Glaubensrichtungen an, sprechen aber wundersamer Weise von derselben Erfahrung.

Wo ist Gott? (2019)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Das Teufelchen in Schach halten

Es passiert nicht allen Menschen, aber einigen. Irgendwann im Leben stellt sich die Frage, ob das denn alles sein könne: überall eine Rolle spielen, funktionieren, sorgenvoll an morgen denken. Das Gefühl der Unzufriedenheit und die Suche nach einem tieferen Sinn sind dann Momente, in denen sich neben gedanklichen Einsichten auch spirituelle Erfahrungen einstellen können. Sie sind schwer zu beschreiben, weil sie tiefer gehen als der Verstand und die Sprache. Regisseurin Sandra Gold hatte im Jahr 2006 selbst ein solches Erlebnis. Es war der Beginn eines religiös-spirituellen Weges und letztlich der Ausgangspunkt für ihren Dokumentarfilm, der auch für Atheisten Anknüpfungsmöglichkeiten bietet.

Die Regisseurin trifft vier Menschen aus unterschiedlichen Religionen: eine katholische Nonne, einen Juden, eine Zen-Lehrerin und einen Sufisten. Die Gespräche mit ihnen verströmen etwas, was auch eine Antwort auf die im Titel gestellte Frage geben könnte. Vielleicht ist Gott hier anwesend, im Gleichklang der Herzen, der Sanftmut in den Gesichtern und der Gelassenheit in den Seelen.

Arabische Gesänge, Frauen und Männer mit merkwürdig hohen Hüten. Gemessenen Schrittes treten sie nach vorne, dann beginnen sie, sich zu drehen, mit leicht ausgestreckten Armen und geneigtem Kopf. Die Kamera heftet sich an die weißen Gewänder, fasziniert vom Schwingen der Säume, vom schwindelerregenden Kreisen, von der Verzückung in den Gesichtern. Der Sufismus, eine mystische Strömung im Islam, ist die fremdeste, exotischste Form der Spiritualität, die im Film vorkommt.

Zu Beginn mag sie nur als Augenschmaus dienen, aber später, wenn der aus Österreich stammende Sufist Süleyman Wolf Bahn von der inneren Achse spricht, um die sich alles dreht und die zu einem Zustand des Friedens führt, dann wissen wir genau, welcher Zustand damit gemeint sein könnte. Weil er eine Erfahrung beschreibt, die andere, uns vielleicht nähere Protagonistinnen und Protagonisten, ebenso ausdrücken, nur mit unterschiedlichen Worten und Praktiken. Etwa wenn die Zen-Lehrerin Doris Zölls von der Versenkung ins Hier und Jetzt spricht, oder die Nonne Veronika Elisabeth Schmidt von der Tür in eine andere Welt, die sich ihr in der Meditation öffnet. Oder wenn der jüdische Autor, Sänger und Psychotherapeut Gabriel Strenger das innere Gefühl absoluter Freude zu beschreiben versucht.
Es zählt zu den reizvollsten Aspekten des Films, die Gemeinsamkeiten unterschiedlicher spiritueller Richtungen zu entdecken. Sie reichen teilweise bis in den Wortlaut, obwohl sich die Vier nicht treffen, sondern in separaten, ineinander geschnittenen Gesprächen und Besuchsszenen Auskunft geben.

Mit gutem Recht hätte die Regisseurin etwa das Schlagwort des interreligiösen Dialogs in den Titel oder Untertitel schreiben können. Aber sie will uns ganz offensichtlich nicht belehren oder informieren, sondern teilhaben lassen. Sie nimmt uns mit auf ihre Reise, sodass wir Mäuschen spielen dürfen bei den Gesprächen und gefordert sind, daraus eigene Schlüsse zu ziehen. Offensichtlich hält sie es auch für überflüssig, im Vorspann oder in den Ankündigungstexten darauf hinzuweisen, dass in ihrem Film die Kirchen genauso wenig vorkommen wie das, was viele von uns an religiöser Erziehung über sich ergehen lassen mussten. Und was fatalerweise dazu führen kann, dass man sich einen Film mit dem Titel Wo ist Gott? niemals anschauen wird.

Immerhin, ganz zu Beginn, wenn die Sufi-Tänzer über die Leinwand schweben, spricht Süleyman Wolf Bahn etwas aus, was nicht nur für ihn gilt, sondern das Gottesverständnis des ganzen Films zusammenfasst: „Wir sagen, dass jeder Mensch mit Gott seine ureigene Verbindung hat, die nur Gott kennt und er, sonst niemand. Diese Verbindung nennen wir das Geheimnis. Jeder Mensch hat dieses ganz persönliche Geheimnis mit Gott“. Wobei man für das Wort Gott weniger vorbelastete Begriffe einsetzen darf: Liebe etwa, oder das sich selbst Spüren. Oder das Gefühl, dass es etwas Größeres gibt als man selbst. Praktisch alles, was nicht mit der materiellen Welt, mit Konkurrenzkampf, Geldverdienen oder dem eigenen Ego zu tun hat.

Natürlich ist es eine große Herausforderung, die Erfahrung des Eins-Seins mit der Welt oder dem Anderen in Worte fassen zu wollen. Selbst Bilder können das nicht ausdrücken. Ein Dokumentarfilm über das Unsagbare ist auf die Ebenen zwischen den Zeilen und zwischen den Bildern angewiesen. Regisseurin Sandra Gold weiß das. Deshalb tut sie alles, um die ruhigen Einstellungen für sich sprechen zu lassen: die Gesichter, die Meditationsräume, aber auch die Berge, die Wüste, die Blumen, das Meer. Zusätzliche Informationen über den Werdegang der Interviewten, über die Bücher, die sie geschrieben haben oder die Berufe, die sie vor ihrer spirituellen Erweckung ausgeübt haben, würden da nur stören. Trotzdem lohnt es sich, die Namen der Gesprächspartner zu googeln.

In 105 Minuten zeigt der Film keine Heiligen, die über Wasser gehen. Sondern sehr handfeste Menschen, die zweifeln und im Clinch liegen, sogar mit ihren Liebsten. „Das Teufelchen ist ein Teil von mir“, sagt der jüdische Autor Gabriel Strenger einmal. Man könne lediglich versuchen, dem Ärger, dem Neid oder Hass nicht die Oberhand zu lassen. Im Laufe des Films wird zudem deutlich, dass die spirituellen Einsichten eine Schnittmenge mit Grundannahmen der Psychologie bilden. Jeder hat davon schon einmal gehört. Es fällt nur schwer, sich im Alltag immer wieder darauf zu besinnen. Etwa, die Verbindung zum inneren Selbst nicht abreißen zu lassen. Oder dass man sich selbst lieben muss, damit man andere lieben kann. Wer an solche Erfahrungen andockt, wird den Film mit Freude und Gewinn sehen, selbst als spirituell Unbeleckter. Wer allerdings meditative Praktiken per se für esoterischen Hokuspokus hält, wird sich wohl kaum mit dem meditativen Rhythmus und dem Fokus auf tiefgründige Gespräche anfreunden.

 

Wo ist Gott? (2019)

Gibt es eine umfassende Matrix hinter unserem Dasein? Welche Rolle spielen wir im Universum? Werden wir für Fehler, die wir gemacht haben, irgendwann zur Rechenschaft gezogen? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Gibt es ein transzendentes Wesen? Gibt es Gott? Menschen leben ihre Sehnsucht nach Heil und Ganzheit in den unterschiedlichsten Formen von Religion und Meditation aus. Insbesondere Meditationstechniken östlicher Traditionen wie Yoga und Zen haben Hochkonjunktur. Hier finden Menschen so etwas wie einen direkten Zugang zu intensiven, nicht alltäglichen Erfahrungen, durchlaufen tiefgreifende Wandlungsprozesse und öffnen sich dem Erleben der Transzendenz. (Quelle: Produktion)

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