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Im neuen Film des Regisseurs Malte Wirtz („Hard & Ugly“, „Voll Paula!“) ist kein Wort zu hören, dafür viel zu lesen. Denn Wirtz hat aus einer uralten Geschichte einen modernen Stummfilm gemacht.

Geschlechterkrise (2021)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Du hast die Haare schön

Malte Wirtz ist für kostengünstig produzierte Experimente bekannt. Einen Film, der an nur einem einzigen Tag spielt und innerhalb von 24 Stunden gedreht wurde, und einen Film, der seine Geschichte in einer einzigen Einstellung erzählt, hat Wirtz unter anderem schon umgesetzt. Jetzt hat er einen modernen Stummfilm realisiert, der eine biblische Geschichte in unsere Gegenwart überträgt.

Simson (Rostyslav Bome) ist ein starker Mann. Er bezwingt allerdings keine Löwen und reißt auch keine Tempel mit bloßen Händen ein, sondern erklimmt Rolltreppen – gegen deren Fahrtrichtung! Alle Menschen, denen er begegnet, lieben ihn, doch aus den falschen Gründen. Sie begehren nicht den Mann, sondern dessen prachtvolles Haar, die Quelle seiner Kraft.

Wer die biblische Geschichte um Simson und Delila aus dem Buch der Richter kennt, weiß, wie es weitergeht. Delila verrät ihren Geliebten an die Philister, die ihm im Schlaf den Kopf rasieren und ihn so seiner Kraft berauben. Nachdem sein Haar nachgewachsen ist, rächt er sich. Malte Wirtz gibt der alttestamentarischen Mär über Glaube, Männlichkeit und Mutterkomplexe in seiner Variante einen neuen Dreh. Die Frau, die Simson zum Verhängnis wird, spaltet er in zwei Figuren auf, De (Taisiya Schumacher) und Lilah (Keziban Inal). Zudem überträgt sich bei Wirtz die Kraft von einem Haarabschneider zur nächsten Haarabschneiderin.

Daraus ergibt sich ein kurzweiliger Großstadtreigen. Was das mit der titelgebenden „Geschlechterkrise“ zu tun haben soll, bleibt ebenso schleierhaft wie die Antwort auf die Frage, warum uns Malte Wirtz diese Geschichte als Stummfilm präsentiert. Vielleicht ja, um für Erheiterung zu sorgen. Denn immerhin hat die anachronistische Darbietungsform den einen oder anderen Lacher zur Folge, ebenso wie die Tatsache, dass in diesem Film jede/r* mit einer Schere bewaffnet durch die Gegend läuft.

Und noch einen Vorteil hat die Entscheidung für den Stummfilm: Die in Wirtz‘ Filmen häufig improvisierten, mitunter zähen und künstlich wirkenden Dialoge bleiben aus, zumindest in gesprochener Form. Denn die geschriebenen Zwischentitel sind nicht viel besser (und zudem voller Fehler). Auch sonst ist diese Hommage an die Anfänge des Kinos nur in Ansätzen gelungen.

Auf Großaufnahmen verzichtet der 1979 geborene Regisseur beinahe komplett, was es mitunter schwierig macht, die Sprecher in einer Szene zuzuordnen, wenn sich mehr als zwei Figuren vor der Kamera befinden. Visuell sieht auch dieser von Wirtz‘ Filmen wie ein im Hinterhof gedrehtes Homevideo aus. Mehr als drei Einstellungen, die an großes Kino erinnern, finden sich nicht darin. Auch vom für Stummfilmkomödien typischen Slapstick ist nichts vorhanden. Am gelungensten ist noch Wilhelm Friedmanns Musik, die das Geschehen ganz klassisch mit Klavierklängen begleitet. Der Rest ist eine nette Fingerübung, die in dieser Form auch eine Aufgabenstellung an eine Hochschule hätte sein können. Deren Benotung fällt mit viel Wohlwollen befriedigend aus.

Geschlechterkrise (2021)

Simson und Delilah. Eine zeitlose Krise der Geschlechter — modern erzählt.

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