Log Line

Beinahe im Alleingang hat João Gilberto vor rund 60 Jahren die Bossa Nova erfunden — und ist damit einer der berühmtesten Brasilianer überhaupt. Nur: Wo ist er? Denn der Sänger und Musiker ist mittlerweile zu einem Phantom geworden, einem Geist.

Wo bist du, João Gilberto? (2018)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ho-ba-la-la - Eine doppelte Suchbewegung

Auf den Titel, den nun wirklich jeder kennt aus dem Repertoire von João Gilberto, wartet man eine gefühlte Ewigkeit. Und als dann (endlich) die Noten von Girl from Ipanema erklingen, geschieht das so beiläufig, dass es beinahe untergeht. Trotz dieses Unterlaufens der Erwartungshaltung aber wird man auch bis zu diesem Moment und weit darüber hinaus bestens unterhalten. Obwohl diesem Film eigentlich genau das fehlt, was einen Dokumentarfilm über einen Musiker von Weltruhm üblicherweise ausmacht — der Protagonist. Denn João Gilberto, der Erfinder und prominenteste Vertreter der Bossa Nova ist ein Phantom, ein sanft flüsternder Geist, dessen jugendlich sanfte Stimme das einzige ist, was von ihm geblieben ist. So möchte er — so muss man vermuten — in Erinnerung bleiben: ewig jung, ewig sehnsüchtig, ewig s(w)ingend.

Doch Georges Gachots Film Wo bist Du, João Gilberto? erzählt nicht nur von einer Suche, sondern genau genommen von gleich zweien. Denn Gachot folgt den Spuren des Musikers auf verschlungenen Pfaden und vermittelt durch ein Buch. Geschrieben wurde dies von dem deutschen Journalisten und obsessiven Gilberto-Verehrer Marc Fischer, der sich in den Kopf gesetzt hatte, das Mysterium des seit vielen Jahren zurückgezogen in Rio de Janeiro lebenden Musikers zu lösen. Hobalala — Auf der Suche nach João Gilberto hieß dieses Werk, das im Jahre 2011 erschien. Sein Verfasser, der einst bei dem Monatsmagazin Tempo den deutschen Popjournalismus mitprägte, nahm sich eine Woche vor dem Erscheinen des Buchs das Leben. Zwar sind die Gründe dafür niemals aufgeklärt worden, doch in seinem Buch steht eine beunruhigende Passage, in der Roberto Menescal, ein Musikerkollege Gilbertos, dem Reporter beschreibt, wie ungeheuer und manchmal auch düster die Wirkung sei, die João auf seine Mitmenschen ausübe. Liegt hierin vielleicht der Grund für den Freitod Fischers?

Diese Frage ist nur eine von vielen, die über Gachots Film schwebt und die stets mitschwingt, wenn er sich in Rio und an anderen Orten auf Spurensuche begibt. Dieses Geheimnis, das Gilberto umgibt, aber auch Gachots Begegnung mit Rachel, die schon Fischer bei seinen Recherchen half, weswegen der sie stets als „Watson“ titulierte, geben der musikalischen Odyssee fast schon die Anmutung einer Detektivgeschichte. Gemildert wird dieser Spannungsbogen durch eine fast heitere und dann wieder entschieden melancholische Atmosphäre, an der die Songs Gilbertos freilich nicht ganz unschuldig sind. Denn auch wenn sein Debütalbum den programmatischen Titel Chega de saudade (deutsch: Schluss mit der Sehnsucht!) trägt, waren seine Lieder doch immer das genaue Gegenteil von der Parole, die er sich selbst mit auf den Weg gab.

Und so schwebt genau diese Sehnsucht über diesem Film und gibt ihm seine Tonalität, die den Kompositionen Gilbertos gleicht: Leise, irrlichternd zwischen Leid und Freud, jeder Song eher ein Fragment als ein durchgearbeitetes Stück, kein Ölgemälde, sondern eine skizzenhafte Aquarellstudie in hellen Farben und dunkler Grundierung. Gachots Film ist in weiten Teilen eher ein Essay als eine biographische Durchdringung, ein Metadiskurs über Sehnsucht und Verlangen, bei dem man am Ende weiß, dass nicht das Finden das Ziel war, sondern der Weg dorthin. All die Begegnungen, die man auf der Reise machen durfte, all die Bekanntschaften und Momente, die Stimmungen und kleinen Momente des Glücks und des Sehnens — sie sind die wahre Botschaft des Films. Und gleichen damit dem Wirken João Gilbertos auf kongeniale Weise.

Wo bist du, João Gilberto? (2018)

Der deutsche Schriftsteller Marc Fischer war besessen — besessen von einem Phantom. Unermüdlich folgte er den Spuren von João Gilberto, dem legendären Begründer  des Bossa Nova, der sich vor vielen Jahren von der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Doch eine Woche, nachdem er sein Buch über die Spurensuche beendet hatte, beging er Selbstmord. Georges Gachot zeichnet Fischers Recherche nach und wird damit zu einer gleich doppelten Spurensuche.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen