Pauls Schulweg

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein halbes Jahr mit einem ABC-Schützen

Die Voruntersuchungen zur Feststellung der Reife, der erste Schultag, die ersten Schritte im fremden Mikrokosmos Schule, dazu das Kennenlernen von neuen gleichaltrigen Jungs und Mädchen und der Abschied von der behüteten Zeit des Lebens als Kindergartenkind – für viele Sechsjährige ist dies eine Zeit des Umbruchs, eine Zeit voller Angst vor dem Unbekannten, dem Neuen, den Erwartungen, denen man sich plötzlich schutzlos ausgeliefert fühlt. In Pauls Schulweg begleitet der Regisseur Wolfgang Andrä diese ersten Schritte ins Erwachsenenleben und zeigt dabei ganz nebenbei den Alltag in einer Reformschule.
Das Konzept der Jenaplan-Schule, die Paul besucht, basiert auf den Überlegungen des Pädagogen Peter Petersen aus dem Jahre 1927. Statt jahrgangsorientierten Klassenverbänden gibt es hier sogenannte „Stammgruppen“, die aus verschiedenen Altersgruppen bestehen. Neben dem jahrgangsübergreifenden Unterricht sind auch die Formen der Vermittlung selbst losgelöst von den klassischen Schemata des Lernens nach streng voneinander getrennten Fachgebieten. Neben dem Unterricht nehmen zudem Feiern, Zeit zum Spielen und verschiedene Gesprächsformen einen wichtigen Platz innerhalb der Schule ein.

Gottlob bildet die Reformpädagogik aber eher den Hintergrund in Wolfgang Andräs Langzeitbeobachtung. Viel eher interessiert er sich für Pauls Befinden, für seinen Blickwinkel auf das Abenteuer Schule – und der ist naturgemäß ganz anders als der von Erwachsenen. Nachdem Paul beim Rechnen, Schreiben und Lesen schnell den Bogen raushat und sich mit den „Pippi-Aufgaben“ bald schon eher langweilt, besteht das eigentliche Abenteuer für ihn vor allem darin, neue Freunde zu finden, Kontakte zu knüpfen und sich seinen Platz im sozialen Gefüge zu erobern. Denn von seiner Zeit vor der Schule kennt er lediglich einen seiner neuen Kameraden.

Pauls Schulweg lebt vor allem von der Nähe der Kamera, die der Junge schnell vergessen hat, zu dem kleinen Protagonisten. Das Vertrauensverhältnis, das einen großen Reiz des ansonsten eher spröden Themas ausmacht, erklärt sich auch aus den Hintergründen der Zusammenarbeit. Wolfgang Andrä und die Mutter Pauls waren in der Zeit, als der Film entstand (rund zehn Jahre ist das bereits her), Studienkollegen und sind mittlerweile verheiratet. Auf diese Weise erinnert der Film fast schon an ein familiäres Homevideo, wäre nicht allein die schiere Länge und die Beharrlichkeit des Filmemachers bei der Beobachtung außergewöhnlich für solch ein eher privates Format.

Warum der Film nun nach so langer Zeit von der Produktion selbst in die deutschen Kinos gehievt und mit einem an den jeweiligen Schulbeginn angepassten Starttermin veröffentlicht wird, ist typisch für die fortschreitende Fragmentierung des deutschen Kinomarktes. Zwar transportiert der Film gerade für Schulanfänger und deren Eltern eine Botschaft, die wichtig für die Kinder ist („Habt keine Angst!“), zugleich aber ist man zumindest anfangs irritiert vom ganz anderen Schulalltag, der der Message des Films einiges von ihrer Allgemeingültigkeit nimmt. Und zuletzt stellt sich die Frage, wie viele Eltern und Kinder sich diesen Film tatsächlich anschauen werden. Denn wenn es eine Gewissheit gibt, dann diejenige, dass die Anpassungsschwierigkeiten in der Phase des Übergangs in den Schulalltag einfach zum Leben dazugehören und sich fast immer von alleine regeln lassen. Und gerade weil dem so ist, dürfte die Zielgruppe eher Die Schlümpfe 2 oder den neuen Teil von Ich – Einfach unverbesserlich als Ziel eines sonntäglichen Ausflugs ins Lichtspielhaus wählen.

Pauls Schulweg

Die Voruntersuchungen zur Feststellung der Reife, der erste Schultag, die ersten Schritte im fremden Mikrokosmos Schule, dazu das Kennenlernen von neuen gleichaltrigen Jungs und Mädchen und der Abschied von der behüteten Zeit des Lebens als Kindergartenkind – für viele Sechsjährige ist dies eine Zeit des Umbruchs, eine Zeit voller Angst vor dem Unbekannten, dem Neuen, den Erwartungen, denen man sich plötzlich schutzlos ausgeliefert fühlt.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Maria Montessori · 08.09.2013

Für sämtliche I-Männchen und deren Eltern erfüllt der Film seinen Zweck. Einfach wunderbar einfühlsam. Warum aber gleich so heftig und die Reformpädagogik „gottlob“ in den Hintergrund abschieben? Zielgleiche Förderung und die Lösung des Inklusionsdilemmas an Realschulen in NRW sollte vielmehr zur Chefsache erklärt werden. Wo bleibt das (Film-) Material, das uns Förderschullehrern und Lehrern der Regelschulen unsere Ängste in der Kommunikation mit Schülern mit Nachteilsausgleich sowie in der Auseinandersetzung mit unerfahrenen Kollegen nimmt? Gemeinsam müssen wir am Kompromiss „Lust an Inklusion und nicht Last für die leistungsstarken Schüler“ arbeiten. Es werfen immer noch zu viele gute Förderschullehrer genervt das Handtuch. Wir benötigen noch jede Unterstützung auf dem Weg dahin. Da ist ein Besuch vom Dezernenten der Bezirksregierung Arnsberg in der Realschule einfach nicht ausreichend.