Karriere Girls

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Wiedersehen mit der Vergangenheit

Lange Jahre haben sie sich nicht mehr gesehen, die beiden Freundinnen Annie (Lynda Steadman), die als Psychologin bei einer Personalberatung Karriere gemacht hat, und ihre ehemalige Mitbewohnerin Hannah (Katrin Cartlidge). Früher, während des Studiums in London, waren die die forsche Hannah und die eher schüchterne Annie unzertrennlich und teilten alles miteinander: Ein Zimmer in der WG, Liebeskummer, Sorgen um die Zukunft, manchen Joint und einmal sogar einen Liebhaber – genug Stoff also, um erinnerungsselig in den so genannten „guten alten Zeiten“ zu schwelgen. Und nun, nach sechs Jahren, kommt es endlich zu einem Widersehen der beiden Frauen, die mittlerweile Anfang 30 sind. Erinnerungstrunken frischen die beide Frauen ihre gemeinsame Zeit wieder auf, erinnern sich an Episoden der Studentenzeit und beginnen – just for fun – gemeinsam teure Wohnungen zu besichtigen, ein Rückfall in die zurückliegenden unbeschwerten Tage. Immer wieder begegnen sie auf ihren Streifzügen Gesichtern aus der Vergangenheit und spüren deutlich, dass sie trotz des Erfolgs, der nun ihr Leben ausmacht, immer noch emotionale Altlasten aus der Vergangenheit mit sich herumtragen, die sie schlicht verdrängt haben…
Seit jeher ist Mike Leigh ein überaus genauer und treffsicherer Beobachter der britischen Gesellschaft und vor allem derer, die sich am unteren Rand der sozialen Leiter befinden. In Karriere Girls / Career Girls zeigt er zwar zwei junge Frau, die den Aufstieg geschafft haben, zugleich aber verdeutlicht er, wie dünn das Eis und wie schmal der Grat ist, auf dem sie sich bewegen: Wenn die beiden in einer bewegenden Begegnung einen Ex-Kommilitonen treffen, dann spürt man deutlich, dass sie einfach nur Glück gehabt haben und nicht wie er auf der Straße gelandet sind. Trotz aller kritischen Distanz zu seinen beiden bourgeoisen Heldinnen, die immer wieder zwischen der unbeschwerten Fröhlichkeit der Studentenzeit und dem Statusgehabe als Karrierefrauen oszillieren, lässt Leigh diesen beiden Frauen alle Widersprüchlichkeiten, ohne sie zu verurteilen.

Vielleicht ist Karriere Girls / Career Girls nicht der beste Film des britischen Regisseurs und auf keinen Fall so brachial wie das Meisterwerk Nackt / Naked oder der ebenfalls imposante Lügen und Geheimnisse / Secrets & Lies, sondern eher ein Werk der leisen Zwischentöne. Auf jeden Fall aber ist es immer wieder ein Vergnügen, sich die Filme Mike Leighs anzuschauen, aus denen man so unendlich viel über das Leben lernen kann.

Karriere Girls

Lange Jahre haben sie sich nicht mehr gesehen, die beiden Freundinnen Annie (Lynda Steadman), die als Psychologin bei einer Personalberatung Karriere gemacht hat, und ihre ehemalige Mitbewohnerin Hannah (Katrin Cartlidge).
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