Draquila - L'Italia che trema

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Wenn Italien erzittert...

Der Filmtitel Draquila ist eine Wortschöpfung aus L’Aquila und Dracula. Die Stadt L’Aquila in den Abruzzen wurde am 6. April 2009 von einem Erdbeben der Stärke 6,3 erschüttert. 308 Menschen starben, 120.000 Einwohner verloren ihr Dach über dem Kopf. Die Rolle des seine Opfer aussaugenden Grafen Dracula spielt in diesem Zusammenhang Italiens Ministerpräsident Berlusconi. Der unter seiner Regie durchgeführte Hilfs- und Wiederaufbauplan des Zivilschutzes scheint bei genauerer Betrachtung eher dazu gedient zu haben, sein durch einen weiteren (Sex-)Skandal angeschlagenes Image aufzupolieren, als dass es tatsächlich um das Wohl der Opfer der Erdbebenkatastrophe ging.
Die skrupellose Stärkung der eigenen Macht unter bewusster Inkaufnahme des Leidens der Opfer, das ist es, was Sabina Guzzanti in ihrem Dokumentarfilm anklagt. In Cannes sorgte Draquila für Aufsehen, in Italien für hitzige Diskussionen: der italienische Kulturminister Sandro Bondi blieb dem Filmfest ob des „propagandistischen Werkes“ unter Protest fern.

Allein der Name Sabina Guzzanti ist in Italien für Regierungskreise ein rotes Tuch. Die Schauspielerin und Regisseurin ist dort schließlich keine Unbekannte. 2006 realisierte sie den Dokumentarfilm Viva Zapatero! über Medien-Zensur unter Berlusconi. Bekannt und berüchtigt ist sie vor allem durch ihre persiflierenden Auftritte und Monologe in der Maskerade des Ministerpräsidenten, die ihr schon eine Anzeige wegen Diffamierung eingebracht haben.

Auch in Draquila geht sie nicht gerade zimperlich mit der Regierung Berlusconi um. Im Gegenteil, der Dokumentarfilm ist gleichermaßen investigativ und polemisch, anklagend und satirisch. Die Machart – mit selbst gesprochenem Kommentar aus dem off, mit ihr selbst auch vor der Kamera bei ihren Nachforschungen und Interviews, mit in Monty-Python-Stil animierten grafischen Zwischenspielen, die das Berlusconi-Prinzip als Kasperle-Theater vorführen – erinnert unweigerlich an Michael Moore. Sabina Guzzanti allerdings ist ein weit angenehmerer Host als der auch gerne mal hinterfotzig agierende US-Amerikaner. In den Gesprächen, die sie führt, ist sie angenehm zurückhaltend und vor allem an Fakten interessiert. Und Fakten trägt sie während ihrer Recherche sehr viele zusammen, so dass die filmische Präsentation recht temporeich vonstatten geht, was dem Zuschauer wiederum große Aufmerksamkeit abverlangt, zumal die zutage geförderten Zusammenhänge und Verquickungen kompliziert bis aberwitzig sind.

Nach dem verheerenden Beben wird die Altstadt von L’Aquila zum Sperrgebiet erklärt, eine verlassene Geisterstadt, in den Häusern brennen zum Teil noch die Lichter. Die Bewohner werden evakuiert und in Hotels an der Küste und in riesigen Zeltstädten untergebracht. Freuen sich die Leute in den Hotels anfangs noch über die luxuriöse Unterbringung und das gute Essen, so wollen sie doch nach einigen Monaten gerne wieder nach Hause. Die über 70.000 Menschen in den Zeltstädten erleben von Anfang an alles andere als einen „Camping-Urlaub“. Militärisch abgeschirmt, mit Regierungs-TV bei Laune gehalten und ohne Recht auf kritische Äußerungen müssen sie ausharren, bis Berlusconis Plan aufgegangen ist und er seinen Triumph verkünden kann: Tausende neuer Fertighäuser in der Umgebung von L’Aquila, in nur 6 Monaten aus dem Boden gestampft, bezugsfertig eingerichtet und komplett ausgestattet — bis hin zum Sektkühler mit Regierungs- und Zivilschutz-Logo. Das ist nach Regierungswillen das neue Zuhause vieler der einstigen Bewohner von L’Aquila. Doch die Leute fühlen sich dort nicht zu Hause. Die gestellten Einrichtungsgegenstände gehören ihnen nicht, sie sind bei Auszug zurückzugeben. Eine alte Frau fragt sich, ob sie die Bettwäsche dann überhaupt benutzen darf, die verschleiße doch…

Profitiert haben von dieser Art des Wiederaufbaus vor allem andere: Ein Korruptionsskandal um das Bauprojekt, der bis in die Regierungskreise hineinreicht, beschäftigt nun die Justiz. Einen Minister hat er indirekt bislang das Amt gekostet und auch der Chef des Zivilschutzes ist in die Kritik geraten. Nach einer absurd anmutenden Verfassungsänderung ist der Zivilschutz nicht nur bei Katastrophen zuständig und handlungsbefugt, sondern auch bei „großen Ereignissen“. Zu einem solchen wird mal eben kurzerhand eine Schwimm-Meisterschaft oder ein Papst-Besuch erklärt, um kurzfristig Gelder für die Finanzierung locker zu machen. Der ultimative Plan, den Zivilschutz sogar als Unternehmen an die Börse zu bringen, ist jedoch gescheitert.

Sabina Guzzantis Beweisführung gipfelt in der brisanten These, dass die Einwohner von L’Aquila nicht vorgewarnt wurden, obwohl es im Vorfeld erhöhte seismische Aktivitäten gegeben habe (was in der Vergangenheit in der Folge immer zu Beben geführt hat). Die Pläne für ein riesiges Neubauprojekt dagegen hätten in der Schublade nur auf eine sich bietende günstige Gelegenheit zur Umsetzung gewartet….

Zum Ende hin konzentriert sich der Film dann wieder sehr emotional auf die Opfer – ein klug kalkulierter Kunstgriff: nachdem in allen Einzelheiten enthüllt wurde, was für eine menschenverachtende Politik die Verantwortlichen wohl getrieben haben, wird man angesichts der Erzählungen und Erlebnisse der einzelnen Betroffenen noch wütender auf die Regierung Berlusconi.

Auf dem Filmfest in München, wo Draquila im Internationalen Programm gezeigt wurde, hat der italienische Ministerpräsident noch eine weitere Klatsche abbekommen: Auch der in Schweden lebende Italiener Erik Gandini seziert das System Berlusconi. In seinem Dokumentarfilm Videocracy gibt er einen verstörenden Einblick in die Schaltstellen von Berlusconis Medien-Maschinerie und beschreibt, wie sich die zentrale Macht des Fernsehens bis in die Peripherie des Landes auswirkt.

Beide Filme zusammen betrachtet ergeben ein erschreckendes Bild des italienischen Staates. Als Fernsehzuschauer mag man den staatlichen TV-Programmen noch kritisch gegenüber stehen können, während man als Opfer einer Naturkatastrophe den staatlichen „Hilfs“-Programmen schutzlos ausgeliefert ist.

Draquila - L'Italia che trema

Der Filmtitel „Draquila“ ist eine Wortschöpfung aus L’Aquila und Dracula. Die Stadt L’Aquila in den Abruzzen wurde am 6. April 2009 von einem Erdbeben der Stärke 6,3 erschüttert. 308 Menschen starben, 120.000 Einwohner verloren ihr Dach über dem Kopf. Die Rolle des seine Opfer aussaugenden Grafen Dracula spielt in diesem Zusammenhang Italiens Ministerpräsident Berlusconi.
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