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Im New York der 1950er Jahre entdeckt eine jüdische Hausfrau ihre Liebe zur Comedy und wächst unversehens aus ihrem wohlbehüteten Leben heraus. Mit dieser erfrischenden Frauenfigur knüpft Amy Sherman-Palladino erneut an den Erfolg der Gilmore Girls an.

The Marvelous Mrs. Maisel (TV-Serie, 2017)

Eine Filmkritik von Henriette Rodenwald

Kommt eine jüdische Hausfrau in eine Bar ...

Wenn Amy Sherman-Palladino eines kann, dann Frauenfiguren schreiben, mit denen man befreundet sein möchte. Seien es die willensstarken und schlagfertigen Gilmore Girls, Lorelai und Rory, die inzwischen das wohl beliebteste Mutter-Tochter-Gespann der modernen Fernsehgeschichte sind, oder sei das Showgirl Michelle aus dem viel zu kurzlebigen Bunheads, das mehr vom Leben möchte als eine austauschbare Hupfdohle zu sein.

Sie alle sind mit ihren Träumen und Fehlern nur allzu menschlich und inspirieren mit ihrer go-get-it-Attitüde noch immer viele ihrer Zuschauer_innen. Kein Wunder also, dass auch Sherman-Palladinos neuester Streich The Marvelous Mrs. Maisel über eine junge Hausfrau, die sich als Stand-Up-Komikerin versucht, in dieselbe Kerbe schlägt und mit zwei frisch gewonnenen Golden Globes und Critics Choice Awards endlich bestätigt, was der Hälfte der Bevölkerung schon längst klar war: Frauen sind lustig.

Miriam ‘Midge’ Maisel (eine Offenbarung: Rachel Brosnahan) ist eine 26-jährige, jüdische Hausfrau an der Upper West Side im New York des Jahres 1958. Dort lebt sie mit ihrem Ehemann Joel (Michael Zegen) und den gemeinsamen zwei Kindern in einem großen, eleganten Apartment mit Blick auf den Central Park, einige Etagen unter ihren Eltern Rose (Marin Hinkle) und Abe Weissman (Tony Shalhoub). Midge liebt ihr Dasein als passionierte Ehefrau. So verfügt sie nicht nur über zu erwartende Qualitäten wie kochen zu können oder eine gute Gastgeberin zu sein. Die Hingabe zu ihrem Mann umfasst auch die sorgfältige Instandhaltung ihres Erscheinungsbildes, manifestiert im ritualhaften Maßnehmen ihres gesamten Körpers. Joel hat sie in ihrer langjährigen Beziehung noch nie ohne Make-up gesehen, welches Midge, fast wie eine Doppelagentin, nachts unentdeckt ablegt. Neben der täglichen Hausarbeit fungiert sie zudem als Art persönliche Assistentin ihres Mannes und seinem Hobby: Stand-Up-Comedy. Das reicht von aufmunternden Worten über das Erschleichen besserer Auftrittszeiten mithilfe selbstgemachter Speisen bis hin zum Aufbessern seiner Nummer. Doch Joel ist bei weitem nicht so witzig wie er denkt. Er klaut von anderen Komikern, denn für eigenes Material fehlt ihm das Gespür, und als er eines Abends zwangsläufig floppt, reißt dieses öffentliche Versagen plötzlich lang verborgene Wunden und eine Unzufriedenheit mit seinem Leben auf. Es kommt zum ultimativen Geständnis: er hat eine Affäre mit seiner Sekretärin. Sobald Joel zur Tür raus ist, greift Midge zum Wein und landet schließlich auf der Bühne des Gaslight Cafes – im durchnässten Nachthemd und mit einer deutlichen Meinung zur aktuellen Entwicklung ihres bisher so bilderbuchhaften Lebens. Sie flucht herum, entblößt sogar ihre Brüste. Das Publikum ist begeistert, die eintreffende Polizei weniger und führt sie kurzum ab. Doch Susie (Alex Borstein), Managerin vom Gaslight, hat genug gesehen, um die Geburtsstunde der „Marvelous Mrs. Maisel“ zu erkennen.

Midge ist trotz ihrer anfänglichen Hausfrauenrolle eine moderne, selbstbewusste Frau, die ihr Licht nicht unter einen Scheffel stellt, dadurch aber zu groß für einen Mann wie Joel ist. Statt dies zu akzeptieren, stößt er sein Ego daran, zerbricht an ihrer Stärke, an ihrer Selbstsicherheit, der er nichts entgegenzubringen weiß. Die Flucht zu einer Frau, für die er wieder ein Held, ein „richtiger“ Mann sein kann, war nur eine Frage der Zeit. Midge hingegen wird vom Verlust ihres Mannes nur kurz aus der Bahn geworfen. Statt sich dem in Schwarztönen gekleideten „Club der Geschiedenen“ anzuschließen, schmeißt sie sich mit neuer Energie in ihre farbenfrohen, figurbetonten Outfits, sucht sich auf eigene Faust einen Scheidungsanwalt und einen Job, zieht nachts durch Bars und Partys und findet im Gaslight schließlich ihr Refugium. Hier blitzt auch ein wenig Ähnlichkeit zu Mad Men durch, zum Teil durch den look beider Serien, aber auch im Vergleich zu Peggy Olson, welche sich von der einfachen Sekretärin zum männlich besetzten Job des Werbetexters hocharbeitet. Und auch wenn jeglicher Sexismus in The Marvelous Mrs. Maisel historisch legitimiert ist, schafft es Sherman-Palladino, die stereotype Rollenverteilung dieser Zeit plausibel aufzubrechen und ihre Protagonistin als starke Persönlichkeit darzustellen, ohne sie dabei ihre Weiblichkeit einbüßen zu lassen.

Es ist eine helle Freude, Rachel Brosnahan (House of Cards, Boston) dabei zuzusehen, wie sie Midge durch die Höhen und Tiefen dieser plötzlich aufgezwungenen Emanzipation steuert. Die Rolle scheint ihr wie auf den Leib geschrieben und Brosnahan macht diese clevere, inhärent fröhliche Figur mit ihrer positiven Grundstimmung zum unangefochtenen Star der Show, den man sofort ins Herz schließt. Sie verkörpert nicht nur optisch eine Frau, die in allen Bereichen nach Perfektion strebt und ihr Leben als ein einziges großes Projekt ansieht. Brosnahan schafft es, Midges natürlichen Instinkt für Witze in den zentralen Bühnenmomenten so zum Vorschein zu bringen, dass sie mit ihrer einnehmenden Präsenz Publikum und Zuschauer zugleich in den Bann zieht. 

All diese Faktoren können größtenteils über ein sehr auffälliges und mit der Zeit auch immer unakzeptableres Manko hinwegtrösten: Midge wurde mit einer nicht-jüdischen Darstellerin besetzt. Nun könnte argumentiert werden, dass die Palladinos ja zumindest beide jüdisch sind, doch das fehlende Feingefühl des Autoren- und-Regie-Duos für die Repräsentation anderer Ethnien hat sich bereits in der Vergangenheit als problematisch erwiesen. Sherman-Palladinos Ensembles waren schon immer erschreckend weiß, mit einer brünetten, heterosexuellen, weißen Frau im Zentrum. Bei Gilmore Girls wurden andere Minoritäten über Jahre hinweg lediglich durch Rorys asiatisch-amerikanische Freundin Lane und Lorelais afro-kanadischen Concierge Michel (dessen Homosexualität auch erst im Revival offiziell bestätigt wurde) vertreten. Erst in Gilmore Girls: Ein neues Jahr gab es verstreut einzelne People of Color zu sehen, wenn auch dort nur im Hintergrund, ohne Text oder in unterwürfigen Positionen, als Sekretärin oder Chauffeur. Welch glücklicher Zufall also, dass sich die Schöpferin, welche bereits von Shonda Rhimes für fehlende Diversität angeprangert wurde, für ihr neues Projekt eine Zeitperiode ausgesucht hat, in der ihr zu viel elitäre weiße Haut an der Upper West Side nicht vorgeworfen werden kann. 

Umso beeindruckender kommt die Optik von The Marvelous Mrs. Maisel daher. Groß geworden mit kleinen Budgets auf Studiogeländen mit verschwindend wenigen Außenmotiven bekam Sherman-Palladino erst durch Netflix und Amazon die Möglichkeiten, die Sender-unabhängige Finanzierungen bieten. Und es macht sich bezahlt, denn das Geld tropft sichtbar aus jedem Bildschirmpixel. Nicht nur die gebauten Sets sind bombastisch und bis ins kleinste Detail ausgestattet, es gibt zahlreiche Originalschauplätze und echte New Yorker Straßen zu sehen, bevölkert mit zahlreichen Statisten. Momente wie in Folge 2, in welcher die Kamera den Blick auf einen schier nicht enden wollenden Straßenzug voller Kleider und betriebsamer Komparsen freigibt, um dann Joel in einer einzigen Bewegung durch die Fabrik seines Vaters zu folgen, wirken regelrecht schaustellend. Als wolle Amy Sherman-Palladino sagen: schaut her, ich habe endlich Geld bekommen.

Solche ausschweifenden Steadicam-Shots mit ihren ausgefeilten Bewegungschoreographien und temporeichen walk-and-talks gehören neben zahlreichen kulturellen Referenzen, originellen Dialogen und Tanzeinlagen sowie schwierigen Familiendynamiken zu den Markenzeichen einer Sherman-Palladino-Show. Und auch davon finden sich in The Marvelous Mrs. Maisel diverse. Während Vater Abe in Midges Wahl eines „schwachen“ Mannes sein eigenes Versagen als Beschützer und Vorbild sieht, seine Sorgen aber lieber unter der Arbeit vergräbt, schwankt ihre Mutter Rose zwischen purer Verzweiflung und unverhüllten Vorwürfen gegenüber Midges Unzulänglichkeiten als Ehefrau und frönt zur Verarbeitung ihrem heimlichen Laster, den Besuchen einer Wahrsagerin. Doch auch hier muss das Fass mal überlaufen, und so kommt es regelmäßig zu typisch hitzig-amüsanten Diskussionen im Familienkreis.

Shalhoub und Hinkle sind wunderbar als Midges Eltern. Sie vollziehen die ideale Gratwanderung einer Generation, die sich unglaublich schwer tut die neuen, in ihren Augen geradezu skandalösen Lebensumstände ihrer modernen Tochter kampflos hinzunehmen. Deren grenzwertigen Einmischungen sind jedoch eindeutig daher motiviert, ihre Tochter einfach glücklich sehen zu wollen. Überhaupt sind alle Nebendarsteller hervorragend besetzt. Zegen transportiert den jammernden, in seinem Ego gebrochenen Joel glaubwürdig. Bailey De Young, bekannt aus Bunheads, hinterlässt als Midges beste Freundin Imogen Cleary besonderen Eindruck mit einem feurigen Monolog zu Midges Dilemma während einer intensiven Trainingseinheit in ihrer gemeinsamen Frauensportgruppe. Besonders hervor sticht aber zweifelsohne Alex Borstein als Midges Managerin Susie. Auch hier handelt es sich um eine Sherman-Palladino-Veteranin, die schon in der Vergangenheit mit ihrer Vielseitigkeit punkten konnte. Borstein verkörpert die alleinstehende, neurotische Susie, die in ihrer neuen Klientin einen Rohdiamanten erspürt, mit der nötigen Würze und Liebe einer harten Schale mit weichem Kern. 

Doch es sind nicht nur Darsteller, bildsprachliche Mittel oder Musik (hier wieder unter der Federführung von Sam Philips), die man nach langjähriger Seherfahrung bei den Palladinos immer wieder entdeckt. Es gibt eindeutige Lieblingsthemen, die regelmäßig recycelt werden. So wird Gilmore Girls-Fans Midges Hochzeit in Form eines russischen Wintertraums sehr bekannt vorkommen. Genauso wie die beiläufigen Feststellungen, dass Schnee Glück bringt oder Kinder immer klebrige Marmeladenhände haben. Während diese Übereinstimmungen zwischen Sherman-Palladinos Serien auf der einen Seite einen gewissen Grad an Wehmut auslösen, so wäre eine komplette Loslösung vom letztendlich immer gleich wirkenden Material irgendwann ganz wünschenswert. Denn anders als darstellerische Markenzeichen können solche inhaltlichen Wiederholungen einen leichten Beigeschmack von nicht nötiger Einfallslosigkeit geben.

Zumindest gibt es neben dem vielen Altbekannten auch einiges an neuen Kniffen zu entdecken. The Marvelous Mrs. Maisel ist, dank des Streaming-Formats, Sherman-Palladinos erste Show, in der es nicht nur ausgiebig nackte Haut zu sehen gibt, Sex gezeigt und ordentlich herumgeflucht wird. Wie bei Gilmore Girls: Ein neues Leben erstmalig ausprobiert, bedienen sich die Serienmacher hier des Öfteren der Rückblende, um zum Beispiel zu zeigen, wie wahre Begebenheiten von Midges Erzählungen abweichen, oder um das Glück der Vergangenheit der Härte der Gegenwart gegenüberzustellen. Auch der Umfang von erstmalig nur 8 Folgen à durchschnittlich 50 Minuten ist eine Neuerung, die jeder Episode ein angenehmes pacing verleihen. 

Es ist das Zusammenspiel all dieser Facetten, die The Marvelous Mrs. Maisel nicht nur zu Sherman-Palladinos bisher ambitioniertestem, sondern auch stimmigsten Projekt machen. Nach dem lang erwarteten Gilmore Girls-Revival Ende 2016, welches Fans mit sehr gemischten Gefühlen ob der fragwürdigen Figurenentwicklungen oder des widersprüchlichen Plots zurückgelassen hat, ist dieser bewegende und unterhaltsame Aufstieg einer jungen Frau zum Comedy-Olymp wie Balsam für die etwas geschundene (Fan-)Seele. Amy Sherman-Palladino hat ihr Mojo zurück und reitet damit endlich auf einer wohlverdienten Erfolgswelle. Mal sehen, was sie sich für die zweite Staffel einfallen lässt.

The Marvelous Mrs. Maisel (TV-Serie, 2017)

Miriam „Midge“ Maisel hat alles, was sie jemals wollte – den perfekten Mann, zwei Kinder und ein elegantes Appartement in der Upper West Side. Aber ihr vollkommenes Leben nimmt plötzlich eine unerwartete Wendung: Midge entdeckt ein bisher unbekanntes Talent, das ihr Leben für immer verändert. Ihr neuer Weg führt sie weg von ihrem bequemen Leben auf dem Riverside Drive in die Basket Houses und Nachtclubs von Greenwich Village, wo sie sich in die Welt der Stand-up-Comedy stürzt.

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