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„Ordinary Time“ erzählt aus dem ganz gewöhnlichen Leben einer jungen Familie in den Monaten nach der Geburt der Tochter. Dabei schafft es der Film, verschiedene Facetten des Elternseins zu beleuchten. Durch seinen langsamen Rhythmus und die ruhigen Bilder gelingt ihm aber noch mehr.

Ordinary Time (2018)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Im Kreis des Lebens

Ein Kind ist die größte Veränderung im Leben eines Menschen, heißt es: Plötzlich werden aus zwei Menschen drei, aus einer Frau wird eine Mutter, aus einem Mann ein Vater. Man ist nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich, sondern für ein neugeborenes Kind, für einen anderen Menschen. Das bringt zwangsläufig Veränderungen mit sich und ist dennoch das Normalste der Welt. „Tempo comum“ beziehungsweise „Ordinary Time“ von Susana Nobre präsentiert vielmehr das Normale als die Veränderung und zeigt, dass sich vor allem eins ändert: Die Sicht auf die Dinge.

Marta (Marta Lança) und Pedro (Pedro Castanheira) bekommen ein Kind, Clara, eine Tochter. Sie kommen aus der Klinik nach Hause und richten für Mutter und Kind das Schlafzimmer ein, damit sich die beiden von der Geburt erholen können. Clara schläft viel und trinkt an der Brust, das Leben hat den schönen ruhigen Rhythmus einer frischgebackenen Familie. Zuerst kommt die Oma, dann die anderen Großeltern. Sie bestaunen das Baby, halten es, singen ihm vor, beglückwünschen das Paar. Und sie erzählen: Von ihrem eigenen Leben, dem eigenen Kinderkriegen.

Ordinary Time hält, was der Titel verspricht: Der Film erzählt von der ersten Zeit im Leben einer jungen Familie, vom gewöhnlichen Alltag nach dem Wunder der Geburt. Das Wunder zeigt sich in den Blicken auf das Baby, im Lächeln jedes einzelnen, wenn sie oder er das schlafende Kind betrachtet und eben lächeln muss. Gleichzeitig ist da aber auch der Alltag, den Vater und Mutter bestreiten müssen: Der Vater muss zurück in die Arbeit, das Kind braucht Kleidung, und wenn das Elternpaar eingeladen ist, muss ein Babysitter gefunden werden.

Auf unaufgeregte Weise dokumentiert der Film diese ersten Monate im Leben der Familie. Die Geburt war unproblematisch und doch anstrengend genug, die Nächte sind – wie gewöhnlich – durchwachsen, die Mutter schläft keine Nacht mehr durch, sondern stillt und wickelt und wiegt ihr Kind. Irgendwann fängt auch sie wieder an zu arbeiten, was Absprachen braucht und Verständnis des einen für den anderen. Zeit für Zweisamkeit zu finden, sagt ein Freund zu Pedro, ist das eigentlich Schwierige.

In den Gesprächen mit Verwandten, Nachbarn und Freunden relativiert sich das Leben von Marta und Pedro, denn hier zeigt sich die Vielfalt des Lebens und eine jeweils andere Sicht auf das Elternsein: Für die eine war die Geburt ein Akt der Gewalt; sie habe den Kaiserschnitt, der gemacht werden musste, nur schwer verkraftet, weil hier die Ärzte in ihr Inneres eingedrungen seien, um das Baby zu holen. Für die andere war es eine harte Zeit, als ihr kleines Mädchen sich zwischen Selbständigkeit und Behütetseinwollen bewegte und sie schon am Morgen völlig erschöpft war. Eine ältere Frau vom Land erzählt davon, wie es früher ganz normal war, dass Frauen zehn bis zwölf Kinder bekommen haben und kurz danach wieder arbeiteten – ohne jemals zum Arzt zu gehen.

Jede der Figuren erzählt eine kleine Episode, die Eltern so oder ein wenig anders aus seinem eigenen Leben wiedererkennen oder nachvollziehen können. Damit bietet Ordinary Time viele Momente der Identifikation, aber auch der Reflexion: Durch den zeitlichen oder räumlichen Abstand und vor allem durch die ruhig montierten Bilder gewinnt man eine neue Sicht auf die Dinge, auch auf diejenigen, die man schon fast wieder vergessen hat. Das ist vielleicht der größte Zauber des Films: Dass er Erinnerungen hervorruft, von denen man weiß, dass es sie gibt, die man so aber schon lange nicht mehr vor dem inneren Auge hatte.

Der Film setzt Musik recht spärlich, aber dann immer perfekt ein: Der Soundtrack trifft immer den richtigen Tonus, die richtige Stimmung, und spannt dabei zwischen dem ersten und dem letzten Bild einen musikalischen Bogen, der mehr ist als nur eine dramaturgische Entscheidung. Ordinary Time zeigt den Kreislauf des Lebens – so wie er ist, schön und anstrengend zugleich, erstaunlich und bewundernswert.

Ordinary Time (2018)

Der Film folgt zwei Eltern nach der Geburt ihres Kindes und erkundet dabei den ruhigen Rhythmus des alltäglichen Lebens und zahlreicher Momente, die nur auf den allerersten Blick ganz normal zu sein scheinen.

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