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Ein Nordseestrand, Hamburg, Argentinien und karibische Inseln — eine Überquerung des Atlantischen Ozeans verbindet all diese Orte in Drift miteinander. Ein Film über das Reisen, die Suche nach dem Fremden und das ständige Fortbewegen als menschlicher Idealzustand.

Drift (2017)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Von Strand zu Strand

Es gehört zu den schönen Ereignissen, die man fast nur auf Festivals erlebt: zwei Filme direkt hintereinander zu sehen, die unerwartet perfekt zueinander passen, sich gegenseitig ergänzen oder ganz verschiedene Blicke auf einen Themenkomplex ermöglichen. So ein Fall ist beim Filmfestival in Rotterdam eingetreten, als Drift direkt auf Ella und Nell folgte. Zwei Langfilmdebüts deutscher Nachwuchsregisseurinnen, in beiden sehen wir zwei Freundinnen auf Reisen.

Aber während Ella und Nell nur für zwei Tage auf Wanderung gehen, scheint das Reisen, die Suche nach der Fremde für die namenlosen Frauen in Drift ein regelrechter Dauerzustand zu sein. Zu Anfang teilen sie sich ein Hotelzimmer an der Nordsee. Kurz darauf wird eine der beiden zurück nach Argentinien zu ihrer Familie fliegen. Die andere reist in die Karibik und überquert von dort aus mit einem Segelschiff den Atlantischen Ozean bis zurück nach Hamburg.

All diese verschiedenen Orte lassen sich nur so genau benennen, wenn man die Inhaltsangabe zum Film gelesen hat. In ihren Bildern bleibt die Künstlerin und Regisseurin Helena Wittmann nämlich ausgesprochen vage. Die Orte, zu denen und an denen ihre beiden Frauen sich bewegen, markiert sie nie genau durch eindeutige Wahrzeichen, es bleibt einem zunächst nur, nach Hinweisen zu suchen: Hafenkräne am Horizont, die Musik im Autoradio während einer Fahrt über die Karibikinsel. Sonst ist Drift ein einziges Schwimmen: wir wissen nicht, wohin die Frauen reisen, warum sie reisen, wer sie sind, wenn sie nicht reisen. Dabei ist Wittmann keine Erzählerin, die sich für die Beschwerlichkeiten des Unterwegsseins interessiert. Weder für Kleinigkeiten wie Sprachbarrieren oder Seekrankheit noch für das, was sich im Inneren der Reisenden abspielt. Unter dem Reisen versteht sie offensichtlich eine so natürliche wie ideale Form des menschlichen Daseins: beobachten, völlig vom gewohnten Alltag abrücken, Bewegung wahrnehmen, selbst in Bewegung bleiben. Ihre Figuren wandern, fahren Rad und Auto, besteigen schließlich ein Schiff. 

An dieser Stelle entgleitet Drift völlig. Minutenlang sehen wir nichts als das Wasser. Die verschiedenen Wellenformen und Blautöne des Meeres, das funkelnd die Strahlen der Sonne zurückwirft, dessen Gischt in der Fahrrinne des Schiffes brodelt oder dessen Oberfläche sachte zischt, wenn die unzähligen Tropfen eines feinen Sprühregens darauf treffen. Es macht sich dann bemerkbar, dass die Regisseurin zuvor an Videoinstallationen und Loops gearbeitet hat. Sich in dieser Phase des Films einfach darauf einzulassen, fällt nicht unbedingt leicht. Speziell auf einem Festival mit engem Zeitplan, auf dem man stets nach dem nächsten Film strebt, der nächsten Besonderheit. Aber Wittmann ist erbarmungslos, lässt nichts übrig, woran man sich festhalten kann. Einer alten Seefahrerweisheit zufolge hilft es bei starkem Seegang, mit festem Blick auf den Horizont zu schauen, denn der bleibt stets gerade. Nicht so in Drift: die Kamera schwankt gemeinsam mit dem Boot, auf dem sie steht. Der Horizont kippt nach links und rechts, Wasser füllt für einen Moment den gesamten Bildkader aus, bis das Boot auf die andere Seite rollt und den Blick in den offenen Himmel freigibt. Ein Film kann einen tatsächlich seekranker machen als die Realität.

Das Wasser mag ein Loch in die ohnehin schon völlig freie Handlung des Films reißen, denn wenn es dominiert, wird von nichts anderem mehr erzählt als seinen Farben und Formen, von sich abwechselnden Tagen und Nächten. Dennoch bleibt es am Ende das verbindende Element, auf dem eine der Frauen ihren Weg zurück nach Hause findet. 

Drift (2017)

Zwei Frauen verbringen zusammen ein Wochenende an der Nordsee. Bald schon werden sich ihre Wege trennen: Die eine wird zu ihrer Familie nach Argentinien zurückkehren, während die andere plant, den Ozean in einem Segelschiff zu überqueren. Doch dann übernimmt unvermittelt das Meer die Hauptrolle.

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