(K)ein besonderes Bedürfnis

Eine Filmkritik von Gregor Torinus

Anders und doch gleich

Alle Menschen sind verschieden. Wer jedoch zu sehr von der breiten Mehrheit abweicht, wird schnell stigmatisiert. Heute sind es oft die Ärzte, welche als Götter in Weiß die Rolle der Bewahrer des herrschenden Staus Quo übernehmen. Die ständig anwachsende Liste von Befindlichkeitsstörungen, die als krankhaft gebrandmarkt werden, sind hierbei nur die Spitze des Eisbergs. Auch bei allen realen Abweichungen vom Normalzustand besteht die Tendenz diese sofort als krankhaft zu verurteilen.
So gehört der Autismus zu den „schweren Entwicklungsstörungen“. Darunter fallen auch leichte Formen von Autismus, wie das Asperger Syndrom, mit dem auch Personen wie z.B. das Mathematik- und Sprachgenie Daniel Tammet diagnostiziert wurden. Deshalb gibt es mittlerweile eine Autistic-Pride-Bewegung, die ähnlich wie z.B. die Gay-Pride-Bewegung für eine wirklich pluralistische Gesellschaft kämpft. Die Vertreter dieser Vielfalt-Bewegung argumentieren, dass Autismus keine Krankheit, sondern eine Andersartigkeit mit speziellen Problemen, aber eben auch mit speziellen Stärken sei. So sind Autisten in der Regel sehr ehrlich und direkt, besitzen jedoch nicht die Fähigkeit zum Smalltalk und tendieren dazu, alles wörtlich zu nehmen. Einer von ihnen ist der 29-jährige Italiener Enea Gabino, der nicht den richtigen Dreh findet, um eine Frau kennenzulernen.

Carlo und Alex kennen den 29-jährigen Enea bereits seit 16 Jahren, hatten ihren Freund zwischenzeitlich jedoch aus den Augen verloren. Als sie Enea bei einem Besuch in ihrem Heimatort wiedertreffen, stellen sie fest, dass Enea noch immer der alte Spaßvogel ist, aber auch bereits ein richtiger Mann geworden ist. Als ein solcher leidet Enea sehr darunter, dass er noch nie eine Freundin gehabt hat. Er spricht zwar viele Frauen an, findet als Autist jedoch nicht den richtigen Zugang, sondern wirkt schnell aufdringlich. Um ihrem Freund zu seinem ersten Mal zu verhelfen, begeben sich Carlo, Alex und Enea in einem Kleinbus auf eine Reise gen Norden. — In Italien ist Prostitution verboten und Behinderte – zu den auch Autisten gerechnet werden – werden rechtlich wie Kinder behandelt. Sex mit ihnen ist deshalb offiziell eine Straftat. — Ihr Weg führt die drei zuerst in ein Bordell nach Graz und später zum Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter im norddeutschen Trebel. Dabei gelangen alle drei zu überraschenden neuen Einsichten.

Früher war es ein Tabu von Sex zu sprechen, heute ist es ein Tabu nichts zum Thema zu sagen zu haben. In unserer vollkommen durchsexualisierten Gesellschaft, hält man es kaum für möglich, dass es tatsächlich noch immer Erwachsene gibt, die nicht am suggerierten großen wilden Treiben Anteil haben. Wer heute um die Dreißig ist und noch nie Sex hatte, der wirkt fast wie ein Außerirdischer, wie Wolfram Huke in seiner schonungslosen Selbstbetrachtung Love Alien zeigt. Wenn die betroffene Person zusätzlich behindert ist, treffen bereits so viele Tabus aufeinander, dass eine — unpeinliche – Darstellung der Leiden der Person kaum machbar erscheint. Doch Carlo Zoratti gelingt genau dies in seinem Debütfilm (K)Ein besonderes Bedürfnis. Seine persönliche Beziehung zu dem Autisten Enea Gabino sorgt dafür, dass diese Dokumentation weder kalt analytisch, noch sentimental geworden ist.

(K)Ein besonderes Bedürfnis ist ein wunderbar warmherziger Film, der auch das Portrait der Freundschaft zwischen Carlo, Alex und Enea ist. Carlo und Alex liegt es völlig fern, auf ihren gehandicapten Freund hinabzublicken oder diesen ständig als „armen Behinderten“ in den Schutz zu nehmen. Stattdessen betrachten sie Enea als eine völlig gleichwertige Persönlichkeit, die nur ein paar sehr spezielle Schwierigkeiten hat. Der Film funktioniert auch deshalb, weil dieser Enea einfach ein unheimlich sympathischer Charmebolzen ist. Wenn er zu Beginn immer wieder recht plump auf Frauen zugeht, möchte man ihm deshalb zurufen, wie jemanden, der gerade auf einen offenen Kanaldeckel zusteuert, das gefährliche Loch in der Straße jedoch übersieht. Auch hat Enea große Probleme seine Bedürfnisse und seine Gefühle in Worte zu fassen. Wenn es ihm — bei geduldigen Zuhörern — dann doch immer wieder gelingt, staunt man über seine große Offenherzigkeit. Ünd am Ende ist nicht nur Enea ein gutes Stück für sich weitergekommen ist, sondern auch Carlo und Alex konnten etwas Wichtiges von Enea lernen. Ein wirklich schöner Film.

(K)ein besonderes Bedürfnis

Alle Menschen sind verschieden. Wer jedoch zu sehr von der breiten Mehrheit abweicht, wird schnell stigmatisiert. Heute sind es oft die Ärzte, welche als Götter in Weiß die Rolle der Bewahrer des herrschenden Staus Quo übernehmen. Die ständig anwachsende Liste von Befindlichkeitsstörungen, die als krankhaft gebrandmarkt werden, sind hierbei nur die Spitze des Eisbergs. Auch bei allen realen Abweichungen vom Normalzustand besteht die Tendenz diese sofort als krankhaft zu verurteilen.
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