Cell

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Cellphone-Apocalypse Now

Schon lange bevor der erste Zombie auftaucht, hat Cell seine Schreckensvision vollständig ausformuliert: Mit einer Kakophonie sich überlagernder Stimmfetzen und Bildern von Menschen, die mit ihren Mobiltelefonen verwachsen scheinen, beschwört Regisseur Tod Williams den Schrecken der globalen Vernetzung herauf. Basierend auf dem Roman Puls von Stephen King erzählt der Hybrid aus Science-Fiction und Horror die Geschichte eines mysteriösen Funksignals, das Menschen in blutrünstige Mörder verwandelt.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Comic-Künstler und Familienvater Clay Riddle (John Cusack), der Zeuge wird, wie die Handy-Apokalypse ihren Lauf nimmt. Ärgert er sich im ersten Moment noch, dass die Verbindung zur entfremdeten Ehefrau und ihrem gemeinsamen Sohn plötzlich abreißt, kann er im nächsten froh sein, nicht selbst zum Teil der „Smombie“-Horde geworden zu sein. Während der merkwürdige Virus sich immer weiter ausbreitet, macht er sich zusammen mit Vietnam-Veteran und Ingenieur Tom (Samuel L. Jackson) und Nachbarin Alice (Isabelle Fuhrman) auf den beschwerlichen Weg zurück zu seiner Familie. Dabei kommen sie Schritt für Schritt auch der Quelle des Signals näher.

Trotz seiner augenscheinlich zeitkritischen Thematik ist Cell ein sehr konventioneller, wenig eigenständiger Zombiefilm, und dass obwohl die Infizierten hier keine Gier nach menschlichem Fleisch verspüren. Sie erinnern stattdessen an die Kreaturen aus 28 Days Later von Danny Boyle. Darüber hinaus haben die Macher sich von den Horrorgeschichten über gespenstische Telefonanrufe inspirieren lassen, die um die Jahrtausendwende in Japan sehr beliebt waren. Filme wie beispielsweise Takashi Miikes The Call nahmen sich dem Unbehagen ob der neuen Technologie an, das mit der stetig wachsenden Komplexität der Geräte nur zugenommen hat.

Stephen King, der gemeinsam mit Adam Alleca seinen Roman adaptiert hat, und Williams haben der Thematik wenig hinzuzufügen. Vage Verweise auf Autoren wie William Gibson und Neil Stephenson wirken wie verzweifelte Versuche, einer banalen Geschichte auch über die theoretisch interessante Prämisse hinaus Tiefe zu verleihen. Die Figur des Zombies war schon immer ein Ausdruck von Skepsis gegenüber der Massenkultur, sein Biss assimiliert ein Individuum in ein gleichförmiges Kollektiv. Auch in Cell ist vom Schwarmbewusstsein die Rede, in einer Szene des Films bilden miteinander verwobene Menschen ein gewaltiges Mosaik aus Körpern. Doch während es bei Siegfried Kracauer optimistisch heißt: „Der Prozess der Aufklärung geht mitten durch das Massenornament hindurch“, fällt Tom und Clay nichts Besseres ein, als die Vernetzten einfach platt zu walzen und abzufackeln.

Als Antwort auf den Smartphone-Kollektivismus und die digitale Gesellschaft bietet der Film eine krude Version der Prepper-Kultur und nostalgische Wild-West-Autarkie. Einen substanziellen Teil der Handlung verbringen die Figuren damit, lustlos durch irgendwelche Wälder zu stapfen – die Apokalypse wird zum gewalttätigen Camping-Trip, bei dem auch pazifistische Comiczeichner die Vorzüge der amerikanischen Waffenkultur lieben lernen.

Als Horrorfilm versagt Cell auf ganzer Linie. Wie auf Kommando springen die Kreaturen aus dunkeln Ecken oder hinter Bäumen hervor, überraschend wie in einer Geisterbahn, mit der man schon dutzende Male gefahren ist. Kameramann Michael Simmonds wackelt albern mit seinem Arbeitsgerät herum, damit die preisgünstigen Masken und vermutlich mit Paint erstellen Spezialeffekte nicht negativ auffallen. Im Hintergrund blökt die nervige Musik von Marcelo Zarvos: Rumpelnde Dissonanz bei Anspannung; schmalziger Klavierkitsch, wenn wieder einmal eine Figur, die vor wenigen Minuten eingeführt wurde, rührselig aus dem Leben scheidet.

John Cusack stolpert mit sichtlichem Desinteresse durch den Film und geht in jede Szene mit der Energie eines gerade erwachten Komapatienten. Meist scheint es, als hätte ihn der „Action!“-Ruf des Regisseurs aus einem wohligen Mittagsschlaf gerissen. Selbst auf größtes Chaos und Blutvergießen reagiert er nur mit einem Ausdruck sanfter Irritation. Wenn überhaupt. Auch Samuel L. Jackson ist seine sonst so große Lust zum Chargieren kaum anzumerken. Unangenehm altersmild schlurft er neben Cusack her und wirft die Frage auf, ob das wirklich dieselben Darsteller waren, die zuletzt gemeinsam in Chi-raq mit überlebensgroßem Schauspiel die Leinwand elektrisierten. Die merkwürdigste Darbietung des Films kommt indes von Charakterdarsteller Anthony Reynolds, der mit einer Mischung aus Monk und Brad Pitts Figur aus 12 Monkeys daran scheitert, zum Defibrillator für das längst tote Herz des Streifens zu werden.

Die Kritik des Films an der globalen Vernetzung schlägt sich auch in seiner Form nieder – die einzelnen Szenen hängen oft nur äußerst lose zusammen. Cutter Jacob Craycrof reiht die Szenen behelfsmäßig aneinander, ohne dass jemals ein wirklicher Fluss oder ein Anflug von Kohärenz entsteht. Auch die zehnte Totale, welche die Isolation der Protagonisten betont, schafft kein Gefühl von Raum und Geographie. So erratisch und sprunghaft, wie alle Beteiligten arbeiten, könnte man Cell somit durchaus als Akt der Selbstkasteiung verstehen. Die Angst vor Smartphones scheint hier verständlich, wurden mit ihnen doch schon deutlich bessere Filme gedreht als dieser. Statt einem Argument gegen Handys und Vernetzung bietet Cell lediglich ein gutes Argument gegen das Kino. Selbst zwei Stunden Warteschleife wären aufregender.

Cell

Schon lange bevor der erste Zombie auftaucht, hat „Cell“ seine Schreckensvision vollständig ausformuliert: Mit einer Kakophonie sich überlagernder Stimmfetzen und Bildern von Menschen, die mit ihren Mobiltelefonen verwachsen scheinen, beschwört Regisseur Tod Williams den Schrecken der globalen Vernetzung herauf. Basierend auf dem Roman „Puls“ von Stephen King erzählt der Hybrid aus Science-Fiction und Horror die Geschichte eines mysteriösen Funksignals, das Menschen in blutrünstige Mörder verwandelt.
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