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Bad Oeynhausen bekommt eine Umgehungsautobahn – „Autobahn“ schaut lieber auf die Menschen, die tagtäglich vom Lärm geplagt werden.

Autobahn (2019)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Leben in voller Lautstärke

Fallen wir gleich mal mit der Autotür ins Haus: Dieser Film ist nichts für Menschen, die von Autolärm eh schon traumatisiert sind. Denn im Bad Oeynhausen der Jahre 2011 bis 2018, wie es hier präsentiert wird, gibt es vor allem interessante Menschen und Autoverkehr. Viel Autoverkehr.

Mitten durch die Stadt, die im 19. Jahrhundert als Kurbad gegründet wurde, führt die Bundesstraße 61. Es gibt hier eine Thermalquelle, man ist gerne „Stadt ohne Stufen“, in der möglichst alles barrierefrei für Rollstuhlfahrer_innen erreichbar ist. Aber die B61 verbindet eben die Autobahnen A30 und A2; erstere endet bis 2018 westlich der Stadt, letztere führt südöstlich an ihr vorbei.

Als Verbindung der beiden Autobahnen, die ihrerseits Teil der Route Amsterdam – Berlin – Warschau sind, eine alte und immer noch moderne Handelsroute, plante man irgendwann in den 1960er, 1970er Jahren eben diese Bundesstraße, die dann vierspurig ausgebaut wurde. Was das bedeutet, zeigt Daniel Abmas Dokumentarfilm Autobahn ganz ohne jede dramaturgische Überhöhung, indem er einfach Häuser, Ladengeschäfte an der Straße filmt, in ruhigen Einstellungen, frontal, aber von der anderen Straßenseite. Autos ziehen vorüber, Lastwagen in großen Mengen, der Lärm ist eigentlich unerträglich.

Auch von den Häusern innen, wo die Menschen sind. Für die interessiert sich der Film eigentlich; der Beginn von Bauarbeiten an der „Nordumgehung“ beziehungsweise Verlängerung der A30 nördlich an der Stadt vorbei bis zur A2 bietet nur den narrativen Rahmen für diese Langzeitbeobachtung. Da ist die schon etwas ältere Karin Braun, die in einem Laden an der Bundesstraße Wolle und Stoffe verkauft. Johan Pauls, der mit Schildern die Vorbeifahrenden zu Jesus bekehren will. Das Ehepaar Weihe, das demnächst eine Autobahn fast im Vorgarten haben wird. Der alternde Kraftsportler Stefan Höckenschmieder. Der Bürgermeister, der sich für die neue Strecke eingesetzt hat und dann krachend abgewählt wird.

Abma lässt die Menschen viel erzählen – immer wieder über die bestehende Straße und geplante Autobahn, aber auch einfach über ihr Leben, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft, Sorgen, Hoffnungen. Das sind manchmal ganz statische Momente, wenn Karin Braun über ihre Ladentheke hinweg in die Kamera spricht oder Weihes in ihrem Wohnzimmer erzählen. Oder dynamische, wenn Höckenschmieder und seine Freundin auf einem Stück Autobahn spazieren gehen, das noch nicht ganz fertiggestellt ist.

Die bürokratischen und juristischen Details rund um den Autobahnbau deutet der Film nur an – dass es da durchaus Streit und unangenehme Momente gegeben hat, dass sich immer wieder etwas verzögert, all das: Man hört es vom Bürgermeister, von einer Lokaljournalistin, aber das ist das vage Hintergrundrauschen, das jedes große Bauprojekt begleitet.

Autobahn interessiert sich für das konkrete Hintergrundrauschen, für den Verkehr, die schiere Masse und Lautstärke, die zum Teil Gespräche fast unmöglich macht – und so ist dann eben der Rückzug in Innenräume konsequent, weil die ruhigen Bildaufnahmen der Außenwelt, mit Staus und ewig vorbeizischenden Verbrennungsmotoren so unerträglich sind.

Dazwischen ist dann Fußball-WM, junge Frauen mit Kopftuch schwenken jubelnd Deutschland-Fahnen. Ein alter Dackel verschwindet, ein junger Dackel ist da. Autobahn handelt heimlich, still und leise davon, wie dieses Leben durch den Autoverkehr beeinflusst und verändert wird: Wie das Haus neue Fenster braucht, die Lärmschutzgrenzen aber nur für Schlafzimmer, nicht fürs Wohnzimmer gelten. Wie Karin Braun womöglich ihren Laden aufgeben muss, weil das Haus an der Bundesstraße ohne den lauten Durchgangsverkehr auf einmal für ihren Vermieter wieder interessant wird.

Der Autoverkehr selbst freilich gilt den Menschen in diesem Film anscheinend als Naturgewalt, als unvermeidbar. Wenn man mit klirrenden Ohren aus dem Kino kommt, den Lärm noch in den Ohren, möchte man das doch gerne in Frage stellen.

Autobahn (2019)

Bad Oeynhausen in Nordrhein-Westfalen ist als traditionsreicher Kurort tatsächlich international bekannt — doch weniger wegen der Thermalquellen. Bad Oeyenhausen liegt auf der alten Handelsroute von Amsterdam über Berlin nach Warschau, die auch heute noch als eine der Hauptverkehrsadern Europas fungiert. Ausgerechnet hier im Kurort fehlt seit 40 Jahren ein kleines Stückchen Autobahn. Blumenhändler aus den Niederlanden, Handwerker aus Polen und deutsche Nordseetouristen — insgesamt 25.000 LKWs und PKWs pro Tag schieben sich mit 50 km/h durch die Stadt und halten an der Bad Oeynhausener Ampel — die einzige zwischen Warschau und Amsterdam. Kilometerlanger Stau ist der Normalzustand. Umfahren? Unmöglich! Hier muss man durch…. „Autobahn“ ist ein Portrait über Deutschland, über der kleine Mensch der sich fügen muss, über Bürokratie, über Großbauprojekte die sich verzögern, und Politik, und vor allem: ein Film über ganz normales Leben. (Quelle: Verleih)

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Meinungen

Ulrike M. · 08.02.2020

Ein wirklich toll gemachter Film mit sehr rührenden Momenten. Familie Weihe sind meine Helden des Filmes!! 😍

Astrid H. · 30.01.2020

Im Vorfeld hatte ich eigentlich gedacht, der Film wäre eine sachliche Dokumentation über die Ortsumgehung unserer Stadt...aber er ist ein lustiger Unterhaltungsfilm mit tollen, urigen Protagonisten. Ich habe viel gelacht und mich sehr gut unterhalten.