Ausfahrt Eden

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Erkundigungen in der Peripherie

Das Paradies liegt gleich nebenan. Es ist da versteckt, wo wir es nicht vermuten. Unter Autobahnbrücken, an den Rändern der Stadt, in ihren Leerflächen, wo das Grün eine letzte Bastion gegen die Allgegenwart des Betons gebildet hat. Wo es wuchert und unkontrolliert treibt. In unmittelbarer Blickweite der Menschen und doch ihrem Blick entzogen. Die Rede ist von den blinden Flecken der mentalen Landschaft, also all jenen Orten, die wir normalerweise nicht wahrnehmen, weil sie einfach nur Pufferzonen sind zwischen städtebaulichen Strukturen und der gezähmten Natur, die uns umgibt. Und genau an diese Orte im Umland von Köln haben sich die beiden Filmemacher Jürgen Brügger und Jörg Haaßengier mit ihrem Film Ausfahrt Eden begeben und dabei Erstaunliches im Gestrüpp gefunden. Denn gerade hier, in den entlegenen Winkeln der Ortschaften stoßen sie auf Menschen, die sich im Niemandsland ihren eigenen Freiraum geschaffen haben, ihr kleines Stückchen Paradies abseits der Allgemeinheit, ihren Rückzugsort, ihren Fluchtpunkt.
So zum Beispiel jener etwas schüchterne Mann (seinen Namen Michael erfährt man erst aus dem Presseheft zum Film), der vor allem nachts seiner Passion nachgeht. Die besteht darin, Pflanzen aus dem Wald oder auf Baustellen auszugraben und mit ihnen Seeufer oder auch schon mal den Damm von ICE-Trassen zu verschönern. Doch das kleine Glück des Mannes ist bedroht — von einem Mann namens Detlev Richter, der dafür verantwortlich sein soll, dass die Setzlinge immer wieder herausgerissen werden – es habe „sexuelle Gründe“, so die mysteriöse Auskunft. Ob es jenen Widersacher aber wirklich gibt, bleibt eines der vielen Geheimnisse von Michael, der sich in seiner nächtlichen Traumwelt ein Gegengewicht zu den offensichtlich traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit in Heimen geschaffen hat, die allenfalls mal kurz anklingt.

Mindestens ebenso skurril – wenngleich auf ganz andere Weise – sind die beiden Freunde Günther und Klaus, die sich ein unterirdisches kleines Reich geschaffen haben, in dem sie seit unbestimmter Zeit den Großteil des Tages verbringen. Dort sitzen sie, rauchen, trinken Kaffee, lauschen Schlagern aus dem Radio und philosophieren über den Lauf der oberirdischen Dinge und träumen von einer Welt, in der die Wolken mehr Intelligenz besitzen als die Menschen. Ulla hingegen hat sich ein ganz anderes Refugium inmitten des Niemandslandes geschaffen, einen wahren Palast aus Klinkerstein und Marmor, den sie ganz allein ohne fremde Hilfe und ohne jegliche behördliche Genehmigung selbst erschaffen hat. Oder die Kinder der Familie Nied, die in einem einem abgelegenen Gebiet aufwachsen, wo es sonst nur Autowerkstätten gibt. Für sie ist das Brachland ein Ort voller Freiheit und Abenteuer, in das sich kaum je ein Erwachsener verirrt. Hinzu kommen ein Hindu-Tempel und merkwürdige Erwachsene, die in Wikinger-Kostümen martialische Kämpfe nachstellen.

Brachflächen als Biotope merkwürdiger und bemerkenswerter Menschen, als Orte, an denen das Unerwartete, leicht Schräge und Bizarre blüht, als Rückzugsstätten der persönlichen Freiheit – so könnte man die Botschaft von Ausfahrt Eden beschreiben. Ohne jeglichen Off-Kommentar verlassen sich die beiden Filmemacher vor allem auf ihre Protagonisten, über die man aber insgesamt recht wenig erfährt – sie bleiben ebenso wie die kleinen Paradiese, die sie bevölkern, nebulös und vage. So spannend und unerwartet die Einblicke auch sind, die Ausfahrt Eden zugänglich macht – unterm Strich trägt das Konzept des Filmes nicht über die gesamten eineinhalb Stunden und hätte um gut eine halbe Stunde gekürzt werden können. Eine Alternative wäre gewesen, mehr auf die Hintergründe der Bwohner des Niemandslandes einzugehen – deren Potenzial und deren Geschichten, so bleibt die Vermutung, sind bei weitem nicht ausgeschöpft worden. Immerhin aber öffnet der Film den Blick für all jene Orte, an denen man sonst achtlos vorbei wirft: Was sind ihre Geschichten, ihre Geheimnisse, welche unerwarteten Entdeckungen lassen sich dort machen? Die Antwort liegt irgendwo da draußen.

Ausfahrt Eden

Das Paradies liegt gleich nebenan. Es ist da versteckt, wo wir es nicht vermuten. Unter Autobahnbrücken, an den Rändern der Stadt, in ihren Leerflächen, wo das Grün eine letzte Bastion gegen die Allgegenwart des Betons gebildet hat. Wo es wuchert und unkontrolliert treibt. In unmittelbarer Blickweite der Menschen und doch ihrem Blick entzogen.
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