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Andreas Wilckes aufschlussreicher Dokumentarfilm „Volksvertreter“ porträtiert über einen Zeitraum von drei Jahren vier AfD-Politiker. Dabei verzichtet der Regisseur auf einen Off-Kommentar, um sich nicht angreifbar zu machen. Die Entlarvung der Rechtspopulisten gelingt durch die filmische Genauigkeit in der Langzeitbeobachtung und das mitunter selbstgefällige Auftreten seiner Protagonisten.  

Volksvertreter (2021)

Eine Filmkritik von Florian Koch

Wolf im Schafspelz

Die Bundestagswahl 2017. Der Tatort: Die Wahlparty der AfD. Mit einem Ergebnis von 12,6 Prozent hat die rechtspopulistische Partei Oberwasser. Ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland tritt vor den Kameras aber auf die (verbale) Bremse: „Sie werden alles versuchen, um uns in die rechte Ecke zu setzen (…) Deswegen gebt eurer Freude vernünftig Ausdruck. Und bitte keine Sprüche, die uns später auf die Füße fallen können.“ Sprach’s, und verschwindet ganz schnell wieder vom Podium. Als ob er wissen würde, warum für die Mitglieder der AfD nach einem Wahlsieg Warnungen angebracht sind.

Geschickt montiert Andreas Wilcke diese bezeichnenden Aussagen in seinem auf dem DOK.fest München erstmals vorgestellten Dokumentarfilm Volksvertreter in den Prolog. Zum einen, um noch einmal das Ringen dieser Partei mit sich selbst und ihren zum Teil rechtsextremen Mitgliedern zu illustrieren. Und zum anderen, um einen radikalen Schnitt zu wagen. Denn die illustren Namen, die Gaulands, Weidels, Meuthens, spielen in Wilckes Film keine Rolle. Es sind die Politiker dahinter, ihre Beweggründe, die den Macher des Langzeitprojekts von Die Stadt als Beute interessieren. 

Einer dieser Männer, und es sind nur Männer, die hier porträtiert werden, ist Norbert Kleinwächter. Der ehemalige Lehrer ist 2017 für die AfD in den Bundestag eingezogen. Sein Fachbereich: Arbeit und Soziales. Die Leidenschaft für Pädagogik ist dem jungen Politiker geblieben. Auf einer Schulung in Brandenburg erklärt er Kommunalpolitikern die Tricks der AfD. Anträge etablierter Parteien müsse man immer hinterfragen, torpedieren, abschießen. Und wenn gar nichts mehr helfe, könne man „die Grünen noch mit ihrer Pädophilie“ packen. 

Die Kamera ist bei jeder perfiden Strategiebesprechung mit dabei. Nicht heimlich, sondern im Wissen der Beteiligten sind die Aufnahmen für Volksvertreter entstanden. Und das macht seinen hintergründigen Film, der ganz ohne wertenden Kommentar auskommt, auch so spannend. Wir sehen Kleinwächter, wie er beim Bürgerdialog auch mal einen Gast wegen NS-Parolen herauswerfen lässt. Wir sehen ihn aber auch, wie er die EU diskreditiert oder, schlimmer, wie er bei der Fußball-WM lacht, als die gelb-rote Karte für Jérôme Boateng im Wirtshaus mit „Abschieben, abschieben!“ rassistisch kommentiert wird. 

Das Klischee vom Wolf im Schafspelz trifft auch auf die anderen porträtierten Volksvertreter zu. Enrico Komning vom AfD-Wirtschaftsflügel feilt mit seinen Mitarbeitern stundenlang an Formulierungen, möchte „weg vom Populismus“. Und dennoch druckt er T-Shirts mit der Aufschrift „Kommando Komning“ und lässt sich auf Straßendebatten über angeblich gefährliche Flüchtlinge ein („Soll sich diese Göring-Eckardt mal diese jungen Burschen nach Hause holen!“). Eloquenter präsentiert sich auch bei Diskussionen um neue Straßennahmen der bundespolitische Sprecher Götz Frömming.

Populistische Selfies vor wehenden Deutschland-Fahnen beim fragwürdigen „Neuen Hambacher Fest“ konterkarieren genau wie seine plumpe Begründung jedoch schnell die inszenierte Ausgewogenheit: Er müsse ja auch „die Twitter-Kanäle pflegen“. Vielleicht am stärksten tritt die Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit bei Armin-Paulus Hampel zu Tage. Der ehemalige ARD-Korrespondent und einstige außenpolitische Sprecher der AfD sieht sich politisch als wertkonservativer Wanderer. Mit seinem ausgestellten Bildungsbürgertum und seiner sonoren, gelassenen Stimme verschafft sich Hampel Respekt. Und doch schockiert sein Verhalten bei einer illegalen Spritztour zu den Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Samos. Von oben herab, im feinen Zwirn, parliert der polyglotte Politiker mit den Flüchtlingen. Nur um ihre Aussagen später auf ein klassisches AfD-Mantra zusammenzuschneiden: „Enddestination Deutschland“.

Volksvertreter (2021)

Über den Zeitraum von drei Jahren begleitet der Film vier Bundestagspolitiker der AFD im Bundestag und in ihren Wahlkreisen. Dabei gewähren diese dem Filmemacher einen ungewöhnlichen nahen Einblick in ihre Arbeitsprozesse. Wir sehen sie beim Strategien schmieden, Texte verfassen, beim Kontakt mit den Bürgern am Stammtisch oder über die sozialen Medien, für die sie permanent Content erstellen.

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