Hustler (2022)

Eine Filmkritik von Georg Löwen

Utopie und Abgrund

Durch schmutzige Gassen und opulente Loftwohnungen Berlins, wo sich Abgründe unter funkelnden Oberflächen auftun, nimmt uns Daniel Moerseners Film „Hustler“, der dritte Film seiner No-Budget-Trilogie (nach „Doggo“ von 2017 und „Outlaw“ von 2018), mit auf eine skurrile wie gefährliche Odyssee durch das nächtliche Berlin. Moersener hat einen Film gedreht, der nicht nur eine Reifung seiner eigenen künstlerischen Arbeit darstellt, sondern auch den Geist des städtischen Dschungels jenseits von Klischees einfängt.

Der Film feierte seine Premiere im November 2022 im traditionsreichen Kino Babylon in Berlin und begleitet einen namenlosen, bisexuellen Callboy, dargestellt von Christian Bill Kühn, der sich Moerseners eigener Beschreibung nach als moderner American Gigolo durch die gehobene Gesellschaft der Stadt bewegt. Immer mit einer Prise Kokain intus tänzelt er von Kund*in zu Kund*in und lässt gelegentlich teuren Schmuck mitgehen. Doch anders als Paul Schraders Thriller Ein Mann für gewisse Stunden, der sich zu einer Charakterstudie seines Protagonisten entwickelt, taucht Hustler tief in die Schatten der modernen Großstadt ein und inszeniert bisweilen Berlin als Protagonistin des Films. Als ein Abend bei einer gut situierten Diplomatentochter aus dem Ruder läuft, bröckelt die oberflächliche Leichtigkeit, und eine Verkettung irrsinniger Ereignisse wirbelt den Callboy durch die Nacht.

Das von Moersener inszenierte Berlin und seine Bewohner scheinen dem Wahn anheimgefallen. Die Stadt als Dickicht aus Gefahren und raren Orten der Zuflucht. Die Drehorte sind dabei bekannte Etablissements des Berliner Nachtlebens wie das SchwuZ oder das Lido. Die Kameraarbeit von Moersener selbst sowie von Franciska JC Schmitt und insbesondere der Schnitt stellen die urbane Dualität aus. Zwischen die immer enigmatischer werdenden Begegnungen montiert Moersener mit scheinbar willkürlichen Schnitten Visionen von Utopie, Schönheit und Lust. Inmitten dieses morbiden Ambientes, das von einem penetranten Duft nach „Pisse und kaltem Fett“ durchzogen ist, tauchen in Hustler Erinnerungen auf, die den Protagonisten in eine bessere Zeit zurückversetzen. Es ist die schmerzliche Erinnerung an seine Ex, dargestellt von Güner Künier, die ihn für die Verheißung eines besseren Lebens verlassen hat. Während sie in James Baldwins Eine andere Welt schwelgt, träumt sie von einem besseren Ort: „So oder so, das kann doch nicht alles gewesen sein. Was fürn Scheiß. Ich hoffe einfach, dass da noch mehr kommt. Fremde Orte, wo die Sonne länger scheint, wo die Luft besser ist, wo man Grillen auf der Straße hört, wo das Essen und der Schlaf besser ist und man Arbeit als schlechten Witz versteht.“ Diese traumhaften Rückblenden bilden ein kontrastreiches Gegenstück zur erbarmungslosen Nacht, die der Callboy durchsteht. 

Daniel Moersener arbeitet ausschließlich mit Laiendarsteller*innen zusammen. Was nur vordergründig eine Frage des Budgets ist, hat deutliche ästhetische Konsequenzen. Der Film erhält dadurch nicht nur einen rohen und unverfälschten Charakter, sondern schafft auch Raum für (unfreiwillige) Komik, Schönheit und Zärtlichkeit. Die Schauspieler*innen sind keine Hollywood-Figuren, sondern authentische Menschen aus dem wahren Leben.

Die Musik, komponiert und eingespielt von Regisseur Moersener und Hauptdarsteller Christian Bill Kühn, ist nicht bloße Hintergrundbegleitung, sondern entscheidend für die mitreißende Atmosphäre des Films. Besonders beeindruckend ist die erstaunliche Vielseitigkeit mit treibenden Riffs, die an Black Rebel Motorcycle Club erinnern, und zeitlosen wie transzendenten Melodien à la David Bowie. Der Soundtrack verstärkt die emotionalen Nuancen des Films, sei es das Unbehagen, die Spannung oder das Gefühl der Befreiung. 

Hustler mag nicht über die Ressourcen eines Hollywood-Blockbusters verfügen, aber er bietet eine kraftvolle künstlerische Erfahrung, die die Zuschauer*innen tief in die düstere Schönheit der Großstadt zieht. Daniel Moersener zeigt erneut seine Fähigkeit, ästhetisch kohärent eine eindringliche Geschichte zu erzählen, und leistet so seinen eigenen, bemerkenswerten Beitrag zur Filmgeschichte Berlins.

Hustler (2022)

Eine Stadt am Rande des Wahnsinns: Ein Callboy findet nicht mehr nach Hause, aber vielleicht ein letztes bisschen Schönheit im Haifischmaul Berlin. Der Hustler versteht sich als eine Art American Gigolo: Er verkehrt in den Loftwohnungen des wohlhabenden Berlins und lässt bei Gelegenheit etwas Bling Bling mitgehen. Es scheint ein Abend wie immer zu werden. Bis sich vor seinen Füßen ein Kaninchenbau auftut, der in ein lebensgefährliches Wunderland führt.

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