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Das Regie-Duo Leslie Franke und Herdolor Lorenz, das sich bereits mit „Wer rettet wen?“, „Der marktgerechte Patient“ und „Der marktgerechte Mensch“ in Abgründe unseres kapitalistischen Systems vorwagte, wirft in seinem neuen Zweiteiler einen Blick auf das Thema Wohnen.

Sold City (2024)

Eine Filmkritik von Nathanael Brohammer

Politische Sprengkraft

Wer in den vergangenen Jahren als mietende Person in deutschen Großstädten umziehen musste, weiß wahrscheinlich um den erbittert umkämpften Wohnungsmarkt – riesige Nachfrage, schwindend wenig Angebot – und die Gentrifizierung preiswerterer Viertel: Für zahllose Menschen geht es hierbei mittlerweile um die Existenz. Die Preise schießen in die Höhe. Nicht rentable Wohnblöcke werden dem Erdboden gleichgemacht, um prestigeträchtigere Neubauten zu errichten. Diese Entwicklung wird erbarmungslos vorangepeitscht von großen, kapitalorientierten Immobilienkonzernen, die Grund und Boden inhalieren und alles und jeden, der ihnen dabei im Weg steht, regelrecht zermalmen. Menschen, die jahrzehntelang ihre Wohnung bewohnten und dort dementsprechend verankert sind, werden zugunsten wohlhabenderer Mitbürger*innen rücksichtslos vertrieben und an Randbezirke verdrängt. Die Städte werden im wahrsten Sinne des Wortes „sterilisiert“. 

Wenig überraschend widmet sich Sold City mit besonderem Augenmerk unserer Hauptstadt, die in Sachen Wohnen mittlerweile einen Ruf besonders extremer Ungemütlichkeit ergattert hat. Beleuchtet wird etwa die Situation der freiberuflichen Künstlerin Doris Koch, die seit über zwanzig Jahren in einer 60-Quadratmeter-Wohnung in Mitte lebt. Das Gebäude wurde inzwischen von dem Immobilienunternehmen Accentro aufgekauft und wird für Eigentumswohnungen kernsaniert. Bis auf eine andere Mietpartei und sie selbst wurden alle bisherigen Einwohnenden vergrault. Die ständige Baustelle und der rücksichtslose Lärm verleiden das Heimgefühl. Ob sie dort wohnen bleiben könne? Kaufinteressenten strecken jedenfalls schon gierig die Finger nach der Immobilie aus. Doch sobald das Haus in die Hände eines Privateigentümers überginge, würde mit aller Wahrscheinlichkeit auch die Miete hochgesetzt. Doris Koch, die nur ein kleines Einkommen besitzt, fürchtet eine solche Übernahme. Sie, die sie eigentlich in Berlin alt werden wollte, müsste dann bei der aktuellen Marktsituation fortziehen.

Ein noch extremeres Beispiel ist der Wohnblock auf der Habersaathstraße, ebenfalls in Berlin Mitte. Das Gebäude der ehemaligen Charité Papageienplatte mit 106 Wohnungen wurde vom ehemaligen Eigentümer für 20 Millionen Euro an Arcadia Estate verschachert. Die Immobilienagentur macht keinen Hehl daraus, dass die Mietenden im Weg sind. Das Gebäude soll nun nach einem verworfenen Modernisierungsvorhaben endgültig abgerissen werden, um Platz zu schaffen für Luxusapartments mit einem Tiefgaragenkomplex. Nur noch neun Mietparteien sind übriggeblieben, die sich diesen Plänen standhaft widersetzen. Darunter Daniel Dieckmann, der seit 2005 dort wohnt. Er berichtet von Schikane und Sabotageakten durch die „sehr aktive Hausverwaltung“: Mit Drohungen, Briefkastenaufbrüchen, unangekündigtem Austausch von Schlössern oder gar Einbrüchen sollen die Mietenden in die Flucht geschlagen werden. Höhepunkt war das brennende Auto eines Mieters mit vorheriger „anonymer“ Ankündigung. Szenarien brutaler Einschüchterung, die beim bloßen Zuschauen kalte Schauer über den Rücken jagen.

Der erste Teil von Sold City mit dem Titel „Eigentum statt Wohnrecht“ blickt auf ebendieses eiskalte System der Umwandlung von Wohnraum in Konzerneigentum und die damit einhergehende Eliminierung von unliebsamen, geringverdienenden Mietenden. Es gibt auch Exkurse nach London, wo die Finanzkrise und der Brexit zu horrenden Verhältnissen geführt haben. Oder nach Wien, das mit ca. 70% gemeinnützigen Wohnungen in der ganzen Stadt als Positivbeispiel für einen funktionierenden, fairen Wohnungsmarkt herangezogen wird (und sicherlich auch deshalb regelmäßig im Ranking als „lebenswerteste Stadt der Welt“ gelistet wird). 

Im zweiten Teil „Enteignung statt Miete für Rendite“ dürfen auch die „Miethaie“ selbst zu Wort kommen: Roger Akelius, Gründer des gleichnamigen Wohnungskonzerns Akelius, winkt den Begriff der „Enteignung“ gleich ab und sonnt sich im Selbstbildnis des Wohltäters, der sich seine Milliarden mit der Beglückung zahlloser Menschen erwirtschaftet hat. Das Regie-Duo Leslie Franke und Herdolor Lorenz tummelt sich zwischendurch auch auf linken Demos mit eigenartiger Performancekunst herum und interviewt Menschen, die das Unglück haben, in Vonovia-Wohnungen zu hausen. Dort werden dringend notwendige Sanierungen dreist als „Modernisierungen“ verkauft, um anschließend die Mieten aufzuschlagen. 

Die Ursache dieser schwindelerregenden Abwärtsspirale des sozialen Wohnens wird von Expert*innen lokalisiert in der Neoliberalisierung und Privatisierung von gemeinnützigem Gut. Dieses von der Politik nicht nur genehmigte, sondern aktiv vorangetriebene Prozedere hat, wie bekannt sein dürfte, nicht nur im Wohnsektor, sondern auch etwa im Gesundheitswesen viel Unheil angerichtet und ein „Perpetuum Mobile der Produktion von sozialer Ungleichheit“ erzeugt. So zermürbend die individuellen Geschichten dahinter und so folgerichtig die Schlussfolgerungen daraus sind… die dramaturgische Zusammensetzung all dessen mutet ein wenig irrlichternd an. 

Als sichtbar schmalbudgetierter, selbstbenannter „Film von unten“ sind mit der laienhaft geführten Wackelkamera und einem wahllos wirkenden Zerschnibbeln der Talking Heads zwar Sympathiepunkte erworben. Das dokumentarische Unterfangen ist, auf stolze 200 Minuten gestreckt, jedoch ein zäh anzuschauender Brocken, der an so mancher Stelle in Wiederholungen zerläuft. Wenn dann noch die englischsprachigen Redeteile von einem deutschsprachigen Voice-Over überlagert werden, das eher penetrant dagegenredet, anstatt dezent zu überlagern, sodass man nur Kauderwelsch versteht, sehnt man sich neben mehr Selektion auch Untertitel herbei.

Die zwei Teile von Sold City lassen Expert*innen und vor allem Betroffene zu Wort kommen und zeigen die grassierenden Missstände eines Marktes auf, der immer weiter zu verrohen droht. Mit Wien und nicht zuletzt Singapur werden alternative Optionen aufgezeigt: So lässt sich Wohnungsmarkt gestalten, ohne die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Auch wenn der fehlende Fokus mit einem Schmunzeln durch die aktivistisch-klare Haltung in besagter Perspektive „von unten“ gerechtfertigt werden kann: Bei aller Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit des Themas wäre eine prägnantere, auf verständlichere Weise verdichtete Illustration sowohl der akuten Problemlage als auch der Historie dieses brutalen Marktes schlagkräftiger gewesen.

Sold City (2024)

Seit die Gemeinnützigkeit des Wohnungsbaus fast überall in Europa aufgehoben wurde, gilt Wohnen nicht mehr als Menschenrecht. Nun entscheidet der Markt, wo Menschen leben. Damit hat sich auch in Deutschland ein System der Vernichtung bezahlbaren Wohnraums etabliert, das unsere Gesellschaft auseinanderdividiert. In Deutschland, insbesondere in den Großstädten, leben traditionell mehr Menschen zur Miete als in Eigentum. Diese Menschen, in Berlin sind es sogar 82%, sind zunehmend bedroht. Die Ursachen: eine neoliberale Politik seit der Jahrtausendwende und die Finanzkrise. Ein in Deutschland vergleichsweise guter Mieter:innenschutz wurde zum Wohle des Kapitals mehr und mehr aufgeweicht. Seither geht es nicht mehr ums Wohnen, sondern um Geldanlage. Internationales Kapital kreist um das sogenannte Betongold.

„Sold City“, der neue Film in zwei Teilen von Leslie Franke und Herdolor Lorenz (Wer rettet wen?“, Der marktgerechte Patient“, Der marktgerechte Mensch), zeigt, wie der Immobilienboom in Deutschland entstanden ist, wie die Betroffenen ihn erleben und wie wir uns wehren können. (Quelle: Salzgeber)

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