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Wenn Politiker*innen vom Strukturwandel sprechen, betonen sie gerne die Chancen für die Menschen, die neue Arbeit brauchen. In der Bergbauregion Lausitz war das schon zur Wendezeit so, und heute wieder. Wer damals nicht fortziehen musste, hofft, jetzt auch den Kohleausstieg zu überstehen.

Auf der Kippe (2023)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Was kommt nach dem Tagebau?

Der Kohleausstieg bis spätestens 2038 ist in Deutschland beschlossene Sache. Wie gehen die Menschen im Lausitzer Braunkohlerevier damit um? Die Region hatte bereits nach der Wende einen Strukturbruch zu bewältigen, mit der Stilllegung vieler Betriebe und dem massiven Verlust von Arbeitsplätzen. Droht eine zweite Abwanderungswelle oder gibt es diesmal bereits Anzeichen für einen erfolgversprechenden Strukturwandel?

Der Dokumentarfilm von Britt Beyer (Auf der Spur des Geldes) sammelt seine Eindrücke in der Region breitgefächert, vom Politiker bis zur Umweltaktivistin, von der Geräteführerin im Tagebau bis zum Rentner, der umgesiedelt wird. Im Zentrum steht die Stadt Weißwasser im sächsischen Landkreis Görlitz, deren Oberbürgermeister Torsten Pötzsch sich in verschiedenen Gremien nicht nur für die Zukunft des Ortes, sondern auch der Region engagiert. Weißwasser war zu DDR-Zeiten ein Zentrum der Glasindustrie, und noch heute stehen in der Stadt Gebäude aufgelassener Betriebe. Die alte Architektur ist laut Pötzsch wichtig für das Traditionsbewusstsein und Gesicht eines Ortes, in dem sich diejenigen, die nach der Wende nicht wegzogen, plötzlich in der Minderheit sahen. In den alten Werksgebäuden finden nun Konzerte und Theateraufführungen statt.

Junge Kreativität, innovative Konzepte wünscht sich der Oberbürgermeister auch für die Zeit nach dem Kohleausstieg. Der Rückgang der Bevölkerungszahlen soll nicht nur gestoppt, sondern sogar ins Gegenteil verkehrt werden, mit einer Neubausiedlung, neuen Betrieben und Bildungseinrichtungen. Ein Investor aus Berlin ist bereits gefunden. Ob aber die Geräteführerin Silke Butzlaff und die anderen in den Tagebauen Beschäftigten eine berufliche Zukunft in der Region haben? Manche Kumpel, die mit Aktionen an die Öffentlichkeit gehen, hoffen offenbar, dass sich die Wirtschaft in der Region weiterhin auf die Energiebranche konzentriert.

Wer im Dorf Mühlrose schon zu DDR-Zeiten lebte, hatte den Staub und Dreck des angrenzenden Bergbaus sogar in der Wohnung. Einige Bewohner erzählen davon und wie sie nach der Wende aufatmeten. Aber inzwischen kehrt der Tagebau wieder ans Dorf heran. Häuser werden abgerissen und ihre Bewohner im Rentenalter siedeln um, ein paar Kilometer weiter. Eine junge Umweltaktivistin kämpft gegen die Fortführung des Tagebaus, die Rodung von Waldstücken, das Abpumpen des Grundwassers. Ob es eine praktikable und umweltbewusste Idee ist, die Restlöcher auf stillgelegten Bergbauflächen in künstliche Seen zu verwandeln, bezweifeln jedoch auch andere. Bereits jetzt macht sich in der Region Wasserknappheit bemerkbar.

Britt Beyers Beobachtungen zeichnen sich durch eine große Offenheit aus, sie wirken auch aufgrund ihrer Vielfalt unvoreingenommen. Am wenigsten scheinen, mit Ausnahme von Pötzsch, die Politiker zu wissen, wie der Strukturwandel gelingen soll. Die kurzen Einblicke in Gremiensitzungen ergeben nichts Konkretes und Politiker auf Provinzbesuch beschränken sich auf Hoffnungsparolen. Als ein junger Zuhörer nachfragt, wie viele Arbeitsplätze denn geplant seien, wird er vom Redner mit eloquentem Achselzucken abgespeist. Das Thema Zukunft scheint noch aus vielen offenen Fragen und diffusen Träumen zu bestehen. Die Beobachtungen werden nicht vertieft, sodass unklar bleibt, ob Verantwortliche nichts sagen wollten oder konnten, welche Konflikte es bei der Verteilung der milliardenschweren Strukturhilfe gibt und inwiefern man weiterhin auf die Präsenz der etablierten Unternehmen setzt. Immerhin weckt dieses Porträt einer Region, in der das Pendel zwischen neuem Wachstum und Verödung noch nicht ausgeschlagen hat, das Interesse für das komplexe, aber gar nicht mehr so abstrakte Thema Strukturwandel. Man darf gespannt sein, was beispielsweise aus den hochfliegenden Plänen in Weißwasser wird. 

Auf der Kippe (2023)

Kohlekumpel leisteten in der DDR einen „aufopferungsvollen Kampf zur Versorgung der Bevölkerung und der Volkswirtschaft“ und wurden als Helden gefeiert. Nach der Wende wickelte die Treuhand ab, die Menschen verloren ihre Arbeit und ihre Lebensgrundlagen wurden zerstört. Das Selbstwertgefühl war geschwächt. Nun steht die Bevölkerung der ältesten Bergbauregion Deutschlands durch das anvisierte Ende der Braunkohleverstromung erneut vor einem tiefen Einschnitt, den sie zu meistern haben. Doch die Erfahrungen des Strukturbruchs in den 1990er Jahren sind tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Der Dokumentarfilm von Britt Beyer erzählt von Erinnerungen, Ängsten und Wünschen der Menschen in der Region und von ihrem Willen zu gestalten. (Quelle: DOK.fest München)

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