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Wer wird als Erste beim Debüt des norwegischen Skifliegens der Frauen Geschichte schreiben? Dieser Dokumentarfilm beleuchtet diese Frage in all ihren gesellschaftlichen Facetten.

Siebensekunden (2024)

Eine Filmkritik von Niklas Michels

Frauen dürfen fliegen

Sekunden in der Luft, Jahre im Training, für immer in Erinnerung. „Siebensekunden“ erzählt eine Geschichte – ein Sportmärchen – über das Skispringen. Genauer gesagt über das revolutionäre Skiflug-Event in Vikersund, Norwegen, das dieses Jahr zum ersten Mal eine weibliche Weltmeisterin dieser Disziplin kürte. Der Dokumentarfilm von Martina di Lorenzo fokussiert sich auf die sportliche Geschichte von Katharina Althaus und Eva Pinkelnig. Sie sind auf dem Weg, einen historischen Meilenstein zu erreichen; der Titel ist zwar wertvoll, doch die Gleichberechtigung im Sport präsentiert sich als größere Hürde.

Die Zeit steht still. Waren es nur sieben Sekunden? Der große Sprung ist immer nur einen Versuch entfernt, die Bäume werden zu kleinen Farbklecksen, von oben sieht alles gleich aus. „Man wird süchtig“, betont eine der Frauen. Skispringen ist für die meisten Zuschauenden etwas Fremdes. Anders als Fuß- oder Handball, die mietfrei in der Popkultur leben, ist der Skisport mehr in sich geschlossen. Dadurch eignet er sich ideal für einen Versuchsaufbau der gesellschaftlichen Akzeptanz.  

Nach einer groben Einführung in den Sport und die Begeisterung für ihn fängt sich Siebensekunden in einer stringenten Erzählung über das besagte Turnier. Bei den imposanten Absprüngen gelingt es, drastische Bilder zu finden. An anderen Stellen entsteht kaum eine Bildsprache und die Versatzstücke aus Interviews und Erfahrungsberichten kulminieren nur in einem mit Talking Heads bebilderten Podcast. Zuhören tut man trotzdem. Manche Stimmen sind stutzig, ob Frauen wirklich die Strecken der Männer springen können. Ihre Anatomie wäre anders und dafür ungeeignet. Siebensekunden fängt solche Frechheiten souverän und schweigend ein; die mitschwingende Misogynie entlarvt sich selbst. Die nüchterne Ablehnung, verpackt in logischen Schlüssen, entpuppt sich als Selbsterhaltungstrieb einer patriarchalen Sportkultur. Die sieben Sekunden in der Luft werden zum fassüberlaufenden Tropfen; symbolisch, poetisch und doch greifbar nah. 

Auf der Gegenseite sieht man Verbündete, die an die Athletinnen glauben. Das Gefühl sei das Gleiche, sagt einer – egal, ob Mann oder Frau. Der Sport wird so als euphorisches Spektakel verstanden. Ebenso bewusst ist sich der Film der Abhängigkeit vom Markt; ohne Zuschauende keine Aufmerksamkeit kein Geld und keine Events – die Skischanze wird zur Bühne. Deswegen ist es schade, dass während all der Zeit, die wir in der Luft verbringen, die Kamera kaum schwerelos wird oder durch den Raum fliegt. Die äußerst konventionellen Bilder werden der Prämisse kaum gerecht. Was übrig bleibt, ist die sprudelnde Euphorie und Solidarität. So funktioniert sich der Dokumentarfilm sowohl als Nischengeschichte für Fans des Sports, als auch als Erzählung über Emanzipation, die zwar für ein kleines Publikum spielt, doch in simplen Bildern besondere Momente einfängt. 

Siebensekunden (2024)

„Sieben Sekunden“ gibt noch nie dagewesene Einblicke auf dem Weg zum ersten offiziellen Skifliegen der Frauen. Martina Di Lorenzo begleitet die beiden Springerinnen Katharina Schmid (geb. Althaus) und Eva Pinkelnig bei ihrem Traum vom Fliegen.  
Noch im Jahr 1997 sagte der damalige Vize-Präsident des Internationalen Ski-Verbands (FIS), Gian Franco Kasper, dass bei der Landung die Gebärmutter zerreißen könnte. Inzwischen hat sich in Sachen Chancengleichheit einiges getan, aber Fliegen durften noch immer lange nur die Männer. Dabei ist der Sport doch derselbe: Konzentration. Abstoßen. Durch die Spur gleiten. Abspringen. Durch die Luft fliegen. Landen. Jubeln. Skifliegen ist kein ungleicher Sport! Bloß: Männer in den wichtigsten Funktionen haben ihn viel zu lange ungleich gemacht.

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